Spott und Häme für den Attentäter

Fortsetzung im Halle-Prozess: Online-Reaktionen auf den Anschlag werden untersucht.

  • Lesedauer: 3 Min.

Auf mehreren rechtsextremen Online-Plattformen hat der rechtsterroristische Anschlag von Halle vor allem Spott und Häme hervorgerufen. Das ging am Mittwoch aus der Befragung der Autorin Karolin Schwarz im Prozess in Magdeburg hervor. Sie hatte die Reaktionen direkt nach dem Anschlag am 9. Oktober 2019 dokumentiert und untersucht.

Schwarz legte dem Gericht die Reaktionen auf drei einschlägigen Internetseiten, wo auch der Angeklagte Stephan B. unterwegs gewesen sein soll, und von einem Messengerdienst vor. Auf allen Plattformen bekam der Attentäter zwar auch Lob; überwiegend machten sich die User laut den vorgelegten Screenshots aber darüber lustig, dass der Mann nicht in die Synagoge gelangt war.

Stephan B. hatte am 9. Oktober 2019 versucht, in der Synagoge von Halle ein Blutbad anzurichten. Nachdem er an der Tür gescheitert war, erschoss er die 40-Jährige Passantin Jana L. und wenig später den 20-Jährigen Kevin S. in einem Dönerimbiss. Der Attentäter streamte seine Tat ins Internet und richtete sich dabei an ein rechtsextremes Publikum. Er verwendete szenetypische Codes und bezog sich auf den Christchurch-Attentäter in Neuseeland.

Bei der Vernehmung der zuständigen Experten des Bundeskriminalamtes (BKA) waren allerdings viele Fragen zum Online-Umfeld offen geblieben. So hatten die Beamten etwa nicht die Reaktionen der rechtsextremen Online-Szene dokumentiert. Die Nebenklage hatte daraufhin die Autorin und Journalistin Schwarz als Sachverständige vorgeschlagen, die seit langem zu dem Thema forscht und recherchiert.

Ebenso mit Spannung erwartet wurde das psychiatrische Gutachten, das dem Angeklagten am Dienstag volle Schuldfähigkeit bescheinigte. »Eine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit aus psychiatrischer Sicht ist nicht anzunehmen«, sagte der eingesetzte forensische Psychiater am Dienstag vor Gericht. Zwar diagnostizierte er dem Angeklagten eine schwere komplexe Persönlichkeitsstörung sowie Anzeichen für Paranoia und Autismus. Die Steuerungsfähigkeit und das Unrechtsbewusstsein des Mannes seien aber nicht beeinträchtigt, resümierte der Gutachter. Beide Punkte sind entscheidend für die Beurteilung der Schuldfähigkeit.

Bereits vergangene Woche waren Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) und Halles Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) vor dem Untersuchungsausschuss zum Halle-Anschlag vernommen worden. Beide sagten, es habe vor dem Attentat keine Hinweise auf eine Bedrohung der Synagoge in Halle gegeben. Bis zum Anschlag war die Synagoge, anders als in vielen anderen Städten, nur bestreift, nicht dauerhaft bewacht worden. Erst seitdem gibt es vor dem Gebäude einen dauerhaften Polizeiposten.

Doch musste es wirklich so weit kommen? Bereits seit drei Jahren gibt einen Leitfaden der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), der empfiehlt, jüdische Gemeinschaften und Einrichtungen zu schützen, besonders an Feiertagen. Das Innenministerium kannte diesen Leitfaden, doch sah offensichtlich keine Veranlassung, die Maßnahmen entsprechend zu verschärfen. Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Henriette Quade, sieht hier ein »grundsätzliches Problem im Umgang mit Antisemitismus«. Die Empfehlung sei von den Behörden nicht ernst genommen worden.

Zugleich übt Quade gegenüber »nd« grundsätzliche Kritik am Untersuchungsausschuss. Dieser »arbeitet die entscheidenden Punkte nicht auf«. So seien die Aussagen von Wiegand und Stahlknecht wenig überraschend, vielmehr die logische Konsequenz aus der Fehleinschätzung der Sicherheitsbehörden. Notwendig wäre deshalb nicht nur der Blick in die Vergangenheit, sondern »eine politische Debatte darüber, wie die Arbeit der Sicherheitsbehörden in Zukunft aussehen soll«. Agenturen/nd

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