Mehr als »Ackerkämpfer«

Prozessauftakt in Gera gegen Angehörige der Hooliganvereinigung »Jungsturm«

  • Sebastian Haak, Gera
  • Lesedauer: 4 Min.

Nur einer der vier Männer versteckt sich nicht: Der 26-Jährige aus Halle, der dort in einem Kampfsportstudio trainiert und auch Titel im Kickboxen gewonnen hat. Er steht am Donnerstag in einem blauen Hemd, ohne Jacke und Kapuze vor Beginn des Prozesses gegen ihn in einem Saal des Landgerichts Gera und blickt mit ausdrucksloser Mine in den Raum. Seine drei Mitangeklagten, die zwischen 21 und 29 Jahre alt sind, verbergen sich dagegen. Sie, die sich wie der 26-Jährige nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft Gera in den vergangenen Jahren gern als harte und brutale Kämpfer gerierten, haben die Kapuzen ihrer Jacken über die Köpfe gezogen, solange die Fotografen noch Aufnahmen von ihnen machen können. Weil sie alle coronabedingt einen Mundschutz tragen, sind nur ihre Augen zu sehen, die sie zum Schutz vor den Blicken der Zuschauer stur auf die Tische vor sich gerichtet haben.

So sehen rechte Hooligans aus, nachdem der Staat mit Macht gegen sie vorgegangen ist. Der Staat kann das. Wenn er will. Dass er das in diesem Fall wollte und will, macht nicht nur das Setting deutlich, in dem dieser Staatsschutzprozess beginnt, von dem schon jetzt feststeht, dass er lange dauern wird. Die Staatsschutzkammer des Landgerichts hat für das Verfahren fast 30 Verhandlungstage bis Anfang März 2021 angesetzt. Zum Setting gehören etwa ein Dutzend Polizisten, die sich im Verhandlungssaal und davor postiert haben. Dazu Justizwachtmeister, die darauf achten sollen, dass keiner der Angeklagten während des Verfahrens zu fliehen versucht oder sich daneben benimmt.

Die Staatsanwaltschaft wirft den Männern vor, 2014 eine Gruppierung namens Jungsturm im Umfeld des Fußballclubs Rot-Weiß Erfurt gegründet beziehungsweise ihr als Mitglieder angehört und als solche gehandelt haben. Beim »Jungsturm« haben sich nach Einschätzung der Thüringer Polizei nicht nur gewaltbereite, sondern auch rechtsgerichtete Fußballfans gesammelt. Spätestens ab 2017 wurden laut Staatsanwaltschaft Mitgliedsbeiträge erhoben.

Die Angeklagten sollen unter anderem im Juli 2019 an einem Angriff auf bis zu 150 Fans des FC Carl Zeiss Jena am Bahnhof Gotha beteiligt gewesen sein. Anhänger des FC Carl Zeiss gelten als eher links. Auch bei organisierten Schlägereien mit Angehörigen anderer Hooligangruppen in Hessen und Brandenburg, sogenannten Ackerkämpfen, sollen sie mitgemacht haben. Aus der vom Staatsanwalt verlesenen Anklageschrift gehen Details der Kampfevents hervor, die verdeutlichen, wie eng vernetzt die gewaltbereite deutsche Fußballszene ist. Die Beschuldigten sollen sich mit Fans aus dem Umfeld von Fußballclubs aus Essen, Babelsberg, Frankfurt und Bielefeld geprügelt und auch dann noch auf ihre Gegner eingetreten haben, als sie schon am Boden lagen, selbst gegen den Kopf. Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Raub und gefährliche Körperverletzung vor. Sollte all das als erwiesen angesehen werden, drohen den Männern mehrjährige Haftstrafen. Zum Prozessauftakt schwiegen alle vier.

Der erste Zeuge, der am Donnerstag aussagte, war der Ermittlungsführer der Polizei im Verfahren. Er schilderte ausführlich, was die Beamten gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft unternommen haben, um die vom »Jungsturm« mutmaßlich verübten Straftaten aufzuklären. So gab es im Vorfeld der Verhaftung der Beschuldigten zwischen April und Juli umfangreiche Durchsuchungen bei ihnen und anderen Verdächtigen. Telefone wurden abgehört, darüber hinaus lasen die Thüringer Polizisten in Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt Nachrichten mit, die die Angeklagten in Messengerdiensten austauschten. Außerdem seien die Männer observiert worden, so der Beamte.

Nach Einschätzung des Recherchekollektiv Exif hat der »Jungsturm«, in dem sich rechte Security-Leute und Kampfsportler tummeln, große Bedeutung innerhalb der Thüringer Neonaziszene und über den Freistaat hinaus. Der bekannteste Angeklagte ist laut Exif Theo W., deutscher Meister im Kickboxen, bis zu seiner Verhaftung Ende April als Trainer im »La Familia Fight Club« in Halle beschäftigt. Enge Verbindungen bestehen auch zwischen dem rechten Kampfsportler und Hooligan Benjamin Brinsa, der als Vertreter eines rechten Bündnisses im Stadtrat Wurzen sitzt. Das Recherchekollektiv hat zudem zahlreiche Aufmärsche und Rechtsrockfestivals aufgelistet, an denen Jungsturm-Protagonisten vor Ort waren.

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