Hätscheln mit Sprengkraft

Bürgerrechtler kritisieren das Engagement des DDR-Pfarrers Christoph Wonneberger bei den »Querdenkern«.

  • Max Zeising , Leipzig
  • Lesedauer: 4 Min.

Etwas unbeholfen wirkte Christoph Wonneberger, als er am vergangenen Sonnabend die Bühne auf dem Leipziger Augustusplatz betrat. Nicht nur die Sonne knallte ihm entgegen - weswegen er eine Sonnenbrille trug -, sondern auch der tosende Applaus von zigtausend Gegnern der Corona-Schutzmaßnahmen, die sich vor der Bühne versammelt hatten. So richtig umzugehen schien er damit nicht zu wissen. Er hatte gerade seinen Redebeitrag begonnen, da wurde er auch schon unterbrochen. »Bisschen lauter, bisschen lauter«, flüsterte ihm der Moderator der Kundgebung ins Ohr. »Ihr merkt«, entgegnete Wonneberger an die Menge gerichtet, »ich bin kein Redner. Ich habe das eigentlich noch nie gemacht«. Der Moderator strich ihm liebevoll über die Schulter und streckte den Daumen nach oben. Die Menge johlte. Wonneberger musste lachen.

Eine rührende Szene, möchte man meinen. Aber zugleich eine mit großer Sprengkraft. Dieses Hätscheln und Tätscheln, es ist weit mehr als nur ein Liebesbeweis. Es ist Methode. Denn hier, auf der großen »Querdenken«-Kundgebung in Leipzig, die wegen ihres Hasses und ihrer Gewalt noch lange in trauriger Erinnerung bleiben wird, sprach einer, der für die Bewegung einen wichtigen taktischen Baustein darstellt: Wonneberger war in der DDR einer der führenden Köpfe der Oppositionsbewegung. Nun, da sich die »Querdenker« in deren Tradition wähnen und setzen wollen, ist es für sie natürlich umso wichtiger, diese vermeintliche Verknüpfung auch entsprechend authentisch darstellen zu können.

Da stand er also und redete, wie er immer redet. Wie schon damals in der DDR, als das Reden noch streng reglementiert war. Vielleicht etwas unbeholfen, aber frei von der Leber weg, das Herz auf der Zunge: »Viele haben mich beschworen, hier nicht zu reden. Viele haben gesagt: ›Geh doch ja nicht auf diese Nazidemo!‹« Buhrufe und Pfiffe. Und er habe ja auch Bedenken, sagte Wonneberger, der damals die Friedensgebete in der Nikolaikirche koordinierte und die anschließenden Demonstrationen mit organisiert hatte: »Aber auf der Straße kann man sich niemanden aussuchen. Und auch ’89 haben wir keine Zensur eingeführt. Wenn damals nur 20 000 auf die Straße gegangen wären, wäre es zu dieser großen Demonstration gar nicht gekommen.«

Nur: Warum lässt sich einer wie Wonneberger, der einst entschlossen und wagemutig für Freiheit, Solidarität und Demokratie kämpfte, heute für das zweifelhafte Bestreben von Egoisten und Antidemokraten instrumentalisieren? »Er war schon immer ein Provokateur, ein bewegter Mensch«, sagt Gesine Oltmanns, eine Weggefährtin Wonnebergers, die sich in der DDR in einer Gruppe junger Leute für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit engagierte und sich diesen Werten bis heute verbunden fühlt, bei einem anschließenden Gespräch mit dem »nd«. Dass sich Wonneberger nun jedoch mit den »Querdenkern« verbunden hat, besitzt aus Oltmanns Sicht »eine gewisse Logik«. Wonneberger sei beileibe kein Neonazi, aber er sei »dialogorientiert und verlässt dabei die sich gebietende Distanz zum rechten Spektrum«. Es scheint, als habe der ewig widerständige Geistliche seinen Widerstand zum Selbstzweck gemacht - egal, wogegen sich dieser im Konkreten richtet und mit wem er dafür zusammenarbeitet.

Auch Wonneberger ist um den Rechtsstaat besorgt, aber in ganz anderer Weise als Oltmanns. »Wir müssen auf die Straße gehen, damit der Rechtsstaat wieder funktioniert«, sagte er in seinem Redebeitrag und meinte damit offenbar jene Justiz, die den »Querdenkern« die Kundgebung auf dem Augustusplatz überhaupt erst ermöglicht hatte. Auch beklagte Wonneberger, die Waffe der »vierten Gewalt«, also der Medien, sei stumpf. Eine solche Sichtweise sei »grober Unfug«, urteilt Gesine Oltmanns.

Wenn die Bürgerrechtlerin über die »Querdenken«-Demonstration nachdenkt, dann fühlt sie sich an die Montagsdemo vom 2. Oktober 1989 erinnert: »Auch an diesem Tag haben Hooligans den Weg frei geboxt.« Eine ähnliche Erfahrung machten die »Querdenker« am vergangenen Samstag: Hooligans und Neonazis griffen Polizisten und Journalisten an, die Polizei zog sich zurück. Und die »Querdenker«, denen eigentlich nur eine stationäre Kundgebung auf dem Augustusplatz erlaubt war, konnten am Ende doch über den historisch so bedeutsamen Leipziger Innenstadtring laufen, auf dem schon 1989 der Sieg der DDR-Opposition über den Staat entschieden wurde - allerdings letztlich auf friedliche Weise: Am 9. Oktober 1989 zwangen 70 000 Menschen die Sicherheitskräfte zum Rückzug und sorgten für den entscheidenden Durchbruch der DDR-Oppositionsbewegung.

Nicht nur Gesine Oltmanns, auch andere Bürgerrechtler sehen das Engagement Christoph Wonnebergers bei den »Querdenkern« kritisch. Brigitte Moritz, die ebenfalls in der Bürgerrechtsbewegung in Leipzig aktiv war, wandte sich in einem offenen Brief an Wonneberger. »Wie der Rechtsstaat bewusst und kalkuliert angegriffen, krank gemacht und möglicherweise zerstört wird, kann man in Ungarn und Polen besichtigen. Nichts davon kann ich in unserem Land erkennen«, heißt es darin. Hingegen seien von den »Querdenker«-Demonstranten »rechtlich hochproblematische Signale« ausgesandt worden, etwa die Bilder von demokratisch gewählten Regierungsmitgliedern in Häftlingskleidung und eben die Angriffe auf Journalisten und Polizeibeamte.

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