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Das Geheimnis der Klimaanlagen

Das Filmfestival »Afrikamera« präsentiert die Vielfalt des afrikanischen Kontinents

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 4 Min.

Mysteriöse Dinge geschehen in Luanda. Klimaanlagen lösen sich aus ihren Verankerungen, fallen von den Fassaden und töten Passanten. Das Phänomen hat sich in der angolanischen Hauptstadt zu einer wahren Krise entwickelt - die Behörden scheinen machtlos. Doch die Bewohner Luandas sind nicht wirklich in Gefahr: Die Plage dient nur als Aufhänger des sehenswerten angolanischen Mystery-Dramas »Air Conditioner«. Gezeigt wird es beim diesjährigen Festival »Afrikamera«.

Unter dem Motto »Urban Africa, Urban Movies: Politics & Revolution« präsentiert es ab Dienstag Dutzende lange und kurze Spiel- und Dokumentarfilme aus ganz Afrika. Der Kurator des Festivals, Alex Moussa Sawadogo, erläutert den Schwerpunkt so: »In den letzten zehn Jahren hat die afrikanische Jugend dem Kontinent eine neue politische Richtung gegeben. Von Tunesien bis Südafrika über Ägypten und Senegal haben junge afrikanische Künstler als Führungspersönlichkeiten dazu beigetragen, Veränderungen bei Regimes und Regierungen zu bewirken.«

Das gilt natürlich auch für Filmschaffende. So präsentiert der 34-jährige Regisseur Fradique mit dem eingangs erwähnten »Air Conditioner« seinen ersten abendfüllenden Spielfilm. Er ist eine Momentaufnahme einer Gesellschaft, die einem realistischen Luanda der 1970er ähnelt, aber auf eine surreale Ebene transportiert wird. Im Mittelpunkt steht der vom Krieg traumatisierte Wachmann Matacedo, der die Klimaanlage seines Chefs reparieren soll. Dabei streift er durch ein scheinbar vegetationsloses Viertel der Stadt, dessen mittlerweile heruntergekommene koloniale Gebäude noch die ehemalige Pracht erkennen lassen.

Mit einer Familie kommuniziert Matacedo telepathisch, während er bei einem als Elektroreparateur getarnten Zauberer auf Videokassetten gespeicherte Erinnerungen anschaut. Realistisch geschildert sind wiederum soziale Hierarchien sowie die prekären Wohnverhältnisse des Helden in einem Universum, das unter dem Zeichen der vollkommenen Entschleunigung steht. Wie das Geheimnis der Klimaanlagen zu interpretieren ist, steht dem Publikum bei diesem sehr originellen Film offen.

Mit Kinopublikum und physischem Kontakt zu den afrikanischen Filmschaffenden kann das Festival zwar in dieser coronabedingten Online-Ausgabe nicht dienen, dafür werden Publikumsgespräche auf Facebook gestreamt, und man kann sich dazu als Teilnehmer auf »Zoom« anmelden. Auch das afrikanische Kino per se leide derzeit, so Sawadogo, unter wegfallender Finanzierung, abgesagten Dreharbeiten und aufgeschobenen Filmstarts: »Einige afrikanische Länder wie Senegal, Burkina Faso, Tunesien usw. haben Regisseure und Produzenten unterstützt, aber dies ist angesichts der finanziellen Verluste nach wie vor unzureichend.«

Das gilt allerdings nicht für den Eröffnungsfilm »This is not a Burial, it’s a Resurrection«, der vor Corona-Pandemie produziert wurde und 2019 in Venedig lief. Das Drama aus Lesotho, dem kleinen, von Südafrika eingeschlossenen Königreich, handelt von der 80-jährigen Witwe Mantoa. Nach dem tödlichen Unfall ihres Sohnes legt sie sich zum Sterben nieder, doch der Tod will nicht kommen. So bäumt sich die Greisin ein letztes Mal auf, als bekannt wird, dass ihr Dorf geflutet werden soll und dessen Bewohner umsiedeln müssen.

Regisseur Lemohang Jeremiah Mosese sagt über seinen Film gegenüber »nd«: »Das Wesen des sogenannten Fortschritts ist seelenlos. Doch der Widerstand dagegen ist in vielen Ländern, auch in meinem, vergeblich.« Trotzdem kämpft die betagte Heldin unbeirrt für ihre Tradition, die in eine Zeit zurückreicht, bevor christliche Missionare das Land erreichten. Mosese: »Äthiopien und Lesotho sind die einzigen Länder Afrikas, die nie kolonisiert wurden. Die Engländer kamen auf Einladung, nicht durch Eroberung. Man gab uns christliche Namen. Unsere Mythen und Gedichte wurden dämonisiert.«

Dafür werden in dem Film die Landessprache Sesotho, Gebräuche und Kleidung zelebriert. Vor allem beeindruckt jedoch die sorgfältige und farbenfrohe Bildgestaltung, besonders der Interieurs. »Ich wollte meine Ideen und Gedanken wie ein Gemälde gestalten«, so Mosese, »der Film ist quasi ein Mosaik aus Malerei.«

Dass mit dem Smartphone zwar weniger ästhetische, aber nicht minder packende Bilder gefilmt werden können, beweist dagegen Karim Aïnouz’ Dokumentarfilm »Nardjes A.« Über einen Zeitraum von 24 Stunden filmt er seine titelgebende Protagonistin, die am Frauentag, am 8. März 2019, in Algier auf die Straße geht. Mit engen Freunden sowie Tausenden ihrer Landsleute protestiert die junge Frau - um den Rücken hat sie die algerische Trikolore geschlungen - friedlich, gut gelaunt, aber temperamentvoll gegen eine fünfte Amtszeit des Präsidenten Abdelaziz Bouteflika.

Bilder bewegter Menschenmengen wechseln sich ab mit intimeren Momenten, wenn Nardjes, die in einem Avantgarde-Café arbeitet, von ihrer Familie erzählt. Über Generationen kämpfte diese gegen die französische Kolonisation und später gegen Machtmissbrauch. Zwar spürt man Nardjes’ Angst um ihre Freunde angesichts willkürlicher Verhaftungen oder Schlimmerem - doch ihre Lebensfreude und ihren Mut, sich für ein freies, demokratisches Algerien zu engagieren, lässt sie sich nicht nehmen.

Auch die weiteren Filme, darunter der nigerianische Kriminalfilm »The Ghost and the House of Truth« (Regie: Akin Omotoso) oder der amüsante ägyptische Fußball-Kurzfilm »Once Upon a Time in a Café« von Noha Adel zeigen die Vielfalt der Filmproduktion eines riesigen Kontinents, dem hierzulande im regulären Kinobetrieb längst noch nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt wird.

»Afrikamera. Aktuelles Kino aus Afrika«: 17. bis 22. November online.
Mehr Infos unter: www.afrikamera.de

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