Odyssee nach Österreich

Norwegens Nationalteam darf wegen mehrerer Coronafälle nicht Fußball spielen - also tritt in der Nations League eine Zweitauswahl an

  • Marco Mader, Wien
  • Lesedauer: 3 Min.

Ruben Gabrielsen hat sich einen Umhang wie Superman um die Schultern geworfen, zu dramatischer Musik eilt der norwegische Fußballprofi zur Wohnungstür und hält seinen Pass in die Kamera. Gabrielsen, das soll dieses kurze Instagram-Video beweisen, steht bereit, um seine in höchste Not geratene Heimat zu »retten«. Der Kapitän des französischen Zweitligisten FC Toulouse ist einer von 18 Spielern im hastig neu zusammengestellten Kader der Nationalmannschaft, den die Norweger zum Nations-League-Spiel in den Corona-Hotspot Österreich schicken.

Das Duell am Mittwochabend in Wien zeigt wie kaum eine andere Begegnung den ganzen Irrsinn der aktuellen Länderspielphase. Die Sieben-Tage-Inzidenz für Österreich lag am Montag bei 527 (!), seit Dienstag ist die Alpenrepublik wieder im harten Lockdown und bis 6. Dezember soll das öffentliche Leben still stehen. Der Fußball aber spielt eine Sonderrolle: Das Nationalteam um David Alaba und 17 weitere Deutschland-Legionäre soll unbedingt zum »Endspiel« um den Sieg in der Gruppe B1 antreten. Und das ausgerechnet gegen die Norweger, deren komplette Mannschaft um Dortmunds Stürmer Erling Haaland nach dem Coronafall von Vizekapitän Omar Elabdellaoui in Quarantäne und nach Hause geschickt wurde.

Offener Brief an die Uefa

Björn Guldvog, Chef der norwegischen Gesundheitsbehörde Helsedirektoratet, hält das Spiel für unverantwortlich. In einem offenen Brief an den norwegischen Verband und die Europäische Fußball-Union meldete er Zweifel am Hygieneprotokoll der Uefa an und empfahl, aktuell auf internationale Spiele zu verzichten - auch in den europäischen Klubwettbewerben. »Wir sehen doch, dass sich immer mehr Spieler in ihren Mannschaften anstecken«, sagte Guldvog im norwegischen Rundfunk dazu. Es bestehe ein »hohes Infektionsrisiko«, internationale Begegnungen seien angesichts der Coronalage »nicht so klug. Ich erwarte, dass sich die Uefa als verantwortungsbewusster Akteur zeigt, der sich um die Gesundheit der Spieler und ihrer Familien sorgt«.

Was die Verbände nicht wollen, müssen die Behörden erledigen. Am Dienstagnachmittag wurde die Nations-League-Partie zwischen der Schweiz und der Ukraine abgesagt. Nach insgesamt sieben positiven Coronatests stellte der Luzerner Kantonsarzt Roger Harstall die komplette Mannschaft von Trainer Andrej Schewtschenko unter Quarantäne.

Die in höchster Eile herbeigerufenen Neu-Nationalspieler Norwegens, zu denen auch Julian Ryerson vom 1. FC Union Berlin gehört, aber wollen unbedingt spielen. »Alle haben Lust«, sagte der frühere Fürther Veton Berisha, einer von nur fünf Profis im aktuellen Aufgebot mit Länderspielerfahrung. Jörgen Strand Larsen vom FC Groningen sprach zwar von einer »wahnwitzigen Situation«, freut sich aber auf sein Debüt.

Wahnwitzige Situation

Der frühere Bundesligaprofi Jan Age Fjörtoft wundert sich nicht über die Vorfreude, die Neulinge hätten schließlich die »einmalige Chance«, sich zu zeigen. Das Gerede von der »Notelf« werde sie anstacheln. Er selbst fiebere dem Auftritt der »neuen, heldenhaften« Auswahl entgegen. Auch der einstige Gladbacher Erik Thorstvedt, dessen Sohn Kristian ebenfalls debütieren könnte, hofft auf eine »Aschenputtel-Geschichte«. Er glaubt: »Für viele ist es wohl das erste und letzte Länderspiel. Sie sollten es genießen.«

Ob das in der Coronazeit funktioniert? Am Dienstag mussten die Spieler stundenlang am Osloer Flughafen ausharren - vor der Reise nach Wien war ein negatives Testergebnis erforderlich. Und das Spiel im Corona-Hotspot? »Wir fühlen uns sicher«, sagte Verbandsdirektor Nils Öyvind Fisketjönn. SID/nd

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