Zusammen was ins Rollen bringen

Beschäftigte an der Seite der Klimaaktivist*innen - durch Streiks und gemeinsame Aktionen wird ein wirklicher Umbruch möglich, meint Rika Müller-Vahl

  • Rika Müller-Vahl
  • Lesedauer: 3 Min.

Früher Morgen am Betriebsbahnhof Glocksee. Streiktag bei der Üstra, dem lokalen Verkehrsbetrieb in Hannover. Wir befinden uns mitten in den Tarifauseinandersetzungen im öffentlichen Nahverkehr. Als wir mit unseren Fahrrädern vor den Betriebshof rollen, werden wir bereits empfangen. Wir, das ist eine Gruppe von Aktivist*innen von Fridays for Future aus Hannover.

Ich steige von meinem Fahrrad und laufe zu einem Vertrauensmann der Üstra. Wir begrüßen uns - natürlich Corona-konform - per Ellenbogencheck.»Dieses Jahr ist irgendwie alles anders«, sagt er, und auch viele andere Beschäftigte werden ihm im Laufe des Tages zustimmen. Natürlich geht es immer wieder um die besondere Streiksituation unter Corona-Bedingungen. Doch ein anderes Thema bekommt noch mehr Aufmerksamkeit: Die enge Vernetzungsarbeit mit Fridays for Future. »So was hatten wir hier noch nie« oder »Eigentlich stand ich Fridays for Future immer skeptisch gegenüber, aber ...« sind Sätze, die an diesem Tag mehr als einmal fallen.

Für das gemeinsame Ziel einer sozial gerechten und ökologischen Verkehrswende haben sich in diesem Sommer bundesweit Beschäftigte aus den Betrieben des ÖPNV und Aktivist*innen der Klimabewegung vernetzt. Eine Allianz zwischen Gewerkschafts- und sozialer Bewegung, wie es sie seit langer Zeit nicht mehr gegeben hat und wie sie vor dem Hintergrund der derzeitigen gesellschaftlichen Krisen dringend notwendig ist: Während die Klimakrise den Zeitraum für einen radikalen Kurswechsel immer enger werden lässt und durch Corona soziale Ungleichheit noch prominenter sichtbar wird als zuvor, werden Forderungen nach einem ökologischen Umbau der Gesellschaft und sozialer Gerechtigkeit häufig als Widerspruch betrachtet. Zugespitzt zeigt sich dies am Beispiel Kohleindustrie, wo die so betitelten »unbelehrbaren und schulschwänzenden Jugendlichen« den »ignoranten Beschäftigten« gegenüberstehen, deren berechtigte Sorge um ihre Arbeitsplätze dann von den Christian Lindners der Politiklandschaft aufgegriffen wird, um mal wieder den »Realitätsverlust« der Klimaaktivist*Innen anzuprangern.

Auch innerhalb der Kampagne im ÖPNV haben sich diese Vorurteile und Spaltungslinien gezeigt, beispielsweise wenn Beschäftigte große Skepsis gegenüber der Klimabewegung und einer möglichen Zusammenarbeit äußerten. Doch vielfach wurde deutlich, dass wir häufig dieselben Ziele haben, dieselben Probleme adressieren und vor allem, dass wir gemeinsam viel stärker sind als allein: Die Vernetzung mit Beschäftigten aus den Betrieben hat eine ganz neue Durchsetzungsperspektive für die Forderungen nach einer sozialen ökologischen Umgestaltung der Gesellschaft mit sich gebracht. Denn um einer Klimakrise angemessen zu begegnen, die uns nur noch wenige Jahre Zeit lässt, und die die Überwindung des auf Wachstum basierenden kapitalistischen Wirtschaftssystems erforderlich macht, braucht es breite gesellschaftliche Mehrheiten. Es braucht die Beschäftigten an der Seite der Klimaaktivist*innen - durch Streiks und gemeinsame Aktionen wird ein wirklicher Umbruch möglich und gemeinsam geäußerten Forderungen Nachdruck verliehen.

In der Tarifkampagne im ÖPNV ist dies zum ersten Mal in Ansätzen geschehen. Wo um 4 Uhr morgens Leipziger Aktivist*innen am Streiktag mit Bannern am Betriebshof stehen und Beschäftigte Solivideos mit Aktivist*innen aus dem Dannenröder Forst drehen, übersetzten sich häufig eher abstrakt theoretisch geäußerte Forderungen nach »verbindender Klassenpolitik« in die Praxis. Wo Menschen aus Betrieb und Bewegung in Hamburg mit einer riesigen Menschenkette das Rathaus umzingeln und gemeinsam politische Forderungen stellen, wird so etwas wie eine »sozial-ökologische Transformation« greifbar.

Die Auseinandersetzungen im öffentlichen Nahverkehr gehen dem Ende zu. Doch die Zusammenarbeit zwischen Klimabewegung und Beschäftigten im Rahmen dieser Kampagne ist schon jetzt ein Vorbild und eine Erfahrung, an die es gilt, in kommenden Auseinandersetzungen anzuknüpfen. Anstatt eine Spaltung in feindliche Lager hinzunehmen, ist es nun an uns, deutlich zu machen, dass sich soziale und ökologische Fragen nicht ausschließen.

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