Sozialismus im Trenchcoat

Bandmitbegründer Paul Weller erinnert mit einer neu erschienenen Best-of-Sammlung an die klassenbewusste Coolness von The Style Council, die in den 80ern ihre größten Erfolge feierten

  • Frank Jöricke
  • Lesedauer: 4 Min.

Später, in den 90ern, wurde er ein ganz normaler Songwriter. Ein bisschen rockig, ein bisschen folkig und manchmal auch ein bisschen niedergeschlagen. Die Art Musik von Mittdreißigern, die sich fragen, ob ihr inneres Feuer erloschen ist (»Has my fire really gone out«) und sich in der falschen Jahreszeit wähnen, weil sie an den Tod denken und sich die Welt nicht mehr erklären können (»5th Season«).

Ausgerechnet Paul Weller. Der Mann, der als Jungspund alles erklären konnte. Der seinen Marx gelesen hatte und ihn auf das Großbritannien von Maggie Thatcher anzuwenden wusste. Der politische Heißsporn, der als 21-Jähriger - damals noch mit The Jam - die Gesellschaft verachtete und in den Untergrund wollte (»Going Underground«). Das nannte man Punk oder New Wave. Doch wer genauer hinhörte, entdeckte unter der neuen Welle altvertraute Strömungen: Beat, Rock, Power Pop. Und auch mit Punk als ästhetischer Ausdrucksform war es nicht weit her. Statt buntem Iro und Sicherheitsnadeln trugen The Jam Anzüge und Frisuren, wie sie die Mods - die stilbewussten Kinder der englischen Arbeiterklasse - in den Swinging Sixties getragen hatten.

Dreizehn Top-20-Hits später wurde es Paul Weller zu langweilig. Zwar wollte er noch immer Bomben über dem Weißen Haus abwerfen (»Dropping Bombs On The Whitehouse«), doch diesmal ohne musikalischen Kanonendonner - aus Power Pop wurde Pop. Gemeinsam mit dem ehemaligen Keyboarder von Dexys Midnight Runners, Mick Talbot, gründete er The Style Council. Das war 1983. Culture Club, Duran Duran und Spandau Ballet dominierten mit ihren Ohrwürmern die Charts, und sogar die Paten des Punk, die stets grimmig dreinblickenden Stranglers, entdeckten ihre zarte Seite und verzauberten mit himmelwärts strebenden Melodien.

In diesem harmonischen Umfeld fühlte sich Paul Weller hörbar wohl. Noch vor Sade und Matt Bianco verstand er es, Pop mit Cocktailkirschen zu garnieren und ihn als Barjazz zu verkaufen. »Café Bleu« hieß das Album, und dass es in der Bundesrepublik floppte, war nur ein weiterer Beleg dafür, dass - anders als in England - Politik und Popkultur als Gegensatz empfunden wurden. So gingen Paul Wellers Werke hierzulande unter.

Das war schade, denn auf den Nachfolgewerken »Our Favourite Shop« und »The Cost Of Loving« weitete er seine klanglichen Exkursionen auf den Soul aus. Natürlich gestaltete sich dieser Ausflug nicht als entrückter, tränen- und schweißtreibender Trip in die Untiefen der Seele. Schließlich war Weller nicht der Godfather of Soul, sondern der Modfather.

Seine musikalische Quelle lag nicht im Mississippi-Delta - dort, wo man traurige Blueslieder sang -, sondern in den hippen Clubs englischer Städte. Das galt auch für seine schwarze Sängerin Dee C Lee (welche er später ehelichte), die keine neue Aretha Franklin war. Sie hatte zuvor für Wham! im Chor gesungen, unter anderem die lang gezogenen »Cool«-Passagen in »Club Tropicana«. Was irgendwie passte, weil auch der Weller’sche Blue-Eyed Soul cool klang. Präzise, ausgefeilt, hochglanzpoliert. Damit vergraulte er die Jam-Fans von früher endgültig.

Sein orchestrales Großwerk »Confessions of a Pop Group«, auf dem er nicht einmal vor Harfenklängen und A-Capella-Chören zurückschreckte, überforderte dann selbst die Plattenfirma (weshalb sie ihm ein Jahr später, 1989, die Veröffentlichung des visionären Deep-House-Albums »Modernism: A New Decade« verweigerte - was das Ende von Style Council bedeutete). All das lässt sich nun auf der von Paul Weller selbst zusammengestellten und kürzlich erschienenen Sammlung »Long Hot Summers: The Story Of The Style Council« noch einmal komprimiert nachhören.

Es ist ein bittersüßes Vergnügen. Denn beim Hören wird einem bewusst, wie viele großartige, zeitlose Kompositionen, darunter 20 Singles plus Raritäten wie die B-Seite »Ghosts of Dachau«, man damals verpasste und dass es uns Deutschen nicht nur an Klassenbewusstsein mangelt, sondern auch an Stilbewusstsein.

The Style Council: »Long Hot Summers: The Story Of The Style Council« (UMC/Polydor)

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