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Brasiliens Linke nicht in Feierlaune

Guilherme Boulos scheitert in São Paulo. Bescheidene Ergebnisse bei den Kommunalwahlen

  • Niklas Franzen
  • Lesedauer: 3 Min.

Noch am Abend meldete sich Guilherme Boulos aus seinem kleinen Haus im Randgebiet von São Paulo zu Wort. Seine Kampagne, erklärte der linke Politiker per Videobotschaft, habe einen Weg in die Zukunft gewiesen. Wenige Minuten zuvor war klar geworden, dass der Sozialist die Stichwahl in der größten Stadt Lateinamerikas verloren hatte.

Am Sonntag waren Brasilianer*innen in 57 Städten zur Stichwahl für die Bürgermeisterposten aufgerufen. Viele Linke blickten gespannt auf die Wahl in São Paulo, wo der Stratege der Wohnungslosenbewegung MTST und Politiker der Partei für Sozialismus und Freiheit (PSOL), Guilherme Boulos, gegen den amtierenden Bürgermeister der rechten Partei PSDB ins Rennen zog. Am Ende fiel das Ergebnis deutlich aus und der an Krebs erkrankte Bruno Covas holte fast 60 Prozent der Stimmen.

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Boulos hatte der aktuellen Stadtverwaltung im Wahlkampf Versagen im Umgang mit der Corona-Pandemie und sozialen Ungleichheit vorgeworfen. Covas, der innerhalb seiner Partei als moderat gilt, bezeichnete Boulos als »Radikalen« und erklärte, »keine Abenteuer« wagen zu wollen. Trotz der beidseitigen Kritik: Die beiden Politiker hatten sich ein zivilisiertes Duell geleistet, sich bei TV-Debatten ausreden lassen, keine persönlichen Angriffe gestartet. Boulos gratulierte Covas noch am Sonntag zu seinen Wahlsieg. Covas hatte Boulos wiederum gute Besserung gewünscht, als bekannt wurde, dass sich dieser mit dem Coronavirus infiziert hatte und die letzten Meter des Wahlkampfes von zu Hause aus durchführen musste. Keine Selbstverständlichkeiten in Brasilien im Jahr 2020.

In seiner Videoansprache erklärte ein lächelnder Boulos, gesiegt zu haben, obwohl die Wahl verloren ging. Und in der Tat: Alleine das Erreichen der Stichwahl war für den Sozialisten ein Erfolg. Seine Kampagne begeisterte viele junge Wähler*innen, es gelang ihm, ein breites Bündnis zu schmieden. Und Boulos, der selbst in der Vorstadt wohnt, holte in vielen armen Stadtteilen die Mehrheit - dort, wo die Linke zuletzt Schwierigkeiten hatte zu punkten. Der linke Shooting Star darf sich Hoffnungen bei kommenden Wahlen machen.

Dennoch war der Sonntag kein Grund zum Feiern für Brasiliens Linke und es bestätigte sich die Tendenz der ersten Runde. Insbesondere die traditionellen Mitte-rechts-Parteien waren die lachenden Sieger - also jene Kräfte, die bei der Präsidentschaftswahl 2018 abgestürzt waren. In der südbrasilianischen Hafenstadt Porto Alegre setzte sich der rechte Politiker Sebastião Melo gegen Manuela d'Ávila, Kandidatin der sozialdemokratisch ausgerichteten Kommunistischen Partei von Brasilien (PCdoB), durch, die in den Umfragen kurzzeitig sogar vorne lag. Lediglich in der nordbrasilianischen Stadt Belém feierte der PSOL-Kandidat Edmilson Rodrigues mit seinem Wahlsieg einen Achtungserfolg. Die sozialistische Partei, die 2004 von abtrünnigen Politiker*innen der Arbeiterpartei PT gegründet wurde, läuft der PT immer mehr den Rang ab. Bis auf einzelne Ausnahmen setzte diese ihren Abwärtstrend fort. Die Partei des populären Ex-Präsidenten Luiz Inácio »Lula« da Silva gewann zum ersten Mal seit der Re-Demokratisierung 1985 keine der 26 Landeshauptstädte. Ein Desaster für die Partei.

In Rio de Janeiro standen sich zwei rechte Kandidaten gegenüber: Der konservative Ex-Bürgermeister Eduardo Paes gewann mit riesigem Vorsprung vor dem amtierenden Amtsinhaber Marcelo Crivella. Der ultrarechte Pastor hatte im Wahlkampf die Unterstützung von Präsident Jair Bolsonaro genossen, ist jedoch aufgrund zahlreiche Skandale so unbeliebt wie kaum ein Bürgermeister zuvor.

Auch in vielen anderen Städten stürzten Bolsonaro nahe stehende Kandidat*innen bei der Wahl ab. So blieb es am Sonntag auffällig ruhig auf dem sonst so geschäftigen Twitter-Profil des Rechtsradikalen. Allerdings: Die Kommunalwahlen sind kaum ein Gradmesser für die Präsidentschaftswahl 2022. Dafür ist das Parteiensystem in Brasilien zu komplex, Wahlentscheidungen sind zu sehr personalisiert, Lokalpolitik zu weit weg von der Hauptstadt Brasília. So ist es kein Widerspruch, dass Präsident Bolsonaro derzeit Rekordumfragewerte verzeichnet. Es bleibt kompliziert.

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