Das Schwere, federleicht

Zum Tod von Jutta Lampe

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Ernst Blochs Behauptung, die Hoffnung sei ins Gelingen verliebt, erfuhr durch diese wunderbare Schauspielerin eine Widerlegung: Sie war eine faszinierende Verliebte des Scheiterns, ein Körper ganz aus Seele. Anton Tschechow war ihr seit je der Verwandteste. Jutta Lampe hat seine Frauenfiguren gespielt, und sie spielte sie vor allem bei Peter Stein. Eine wesentliche Linie ihres Lebens. Mehr künstlerische Geradlinigkeit ist nicht möglich.

Steins Theater, vor Jahrzehnten an der weltberühmten Westberliner Schaubühne - das war Musikalität, strenger Glanz, hauchzarter Seelenrealismus, umspielt von Poesie und Ironie. Die Würde eines Textes bedeutete diesem Regisseur so viel wie die Würde eines Menschen. Alles. Lampe war Protagonistin einer grundsätzlichen Abkehr: Dramatikern besserwisserisch und mit der Anmaßung privater Obsessionen über den Mund zu fahren.

Nach Engagements in Bremen und Zürich war sie ab 1970 nahezu drei Jahrzehnte im Ensemble am Lehniner Platz. Die Erste unter lauter Ersten - mit Edith Clever, Bruno Ganz, Udo Samel und Otto Sander. Sie wirkte wie eine Behütete, stets war ihr ein Lichtschein Frieden beigegeben, der nicht zum groben Alltag passen wollte. Nur zur Kunst - vor der jeder Alltag sich beugte. Botho Strauß, in dessen prägenden Stücken sie spielte, schrieb über ihre Wandelbarkeit: »Du bist niemand, sonst wärst du keine große Schauspielerin.« Eine Hymne auf die Offenheit als Tür zur Form - in der sich jeder Sinn als Geheimnis erfüllt. Als unerklärliche Aura, und das Unerklärliche als klügstes Wissen über die Welt. Und plötzlich kann eine Wahrheit so erschreckend sein wie diese Welt. Es gibt ein Spiel, das zielt mitten hinein und ist doch blendend schön.

Eine melancholische Komische. Eine weich fließend Expressive. Immer mit diesen großen staunenden Augen. Eine einsame, durchscheinende, porzellanschöne oder hochgeschnürt-blasse Herzdame, in ihrem Wesen stets einen Samthauch von Entrückung. Ob bei Klaus Michael Grüber oder Luc Bondy, bei Andrzej Wajda oder Robert Wilson: Sie verwandelte alles irdisch Schwere ins Federleichte, das auf betörende Weise - Federn ließ.

Am Wiener Burgtheater gab sie an der Seite von Gert Voss eine mutige, weil sich offen wund mit dem Altern herumschlagende Diva Arkadina, in Tschechows »Möwe«. Spielte eine Frau, die das Leben liebt und doch untilgbare Angst davor hat. Nicht vor dem Leben flieht sie, sondern vor dieser Angst - die man aber nicht abschütteln kann, ohne das Dasein selbst auszulöschen. Mit fahriger Geschäftigkeit zertänzelte sie die Wahrheit, die ihr doch im Gesicht geschrieben stand: Alles hat seine Zeit, und meine ist vorbei! Tänzelte und tänzelte und zertrampelte das Selbstgefühl ihres Sohnes.

Noch einmal war sie vor Jahren - nach der dortigen Zeit von Stein und Andrea Breth - zur Schaubühne zurückgekehrt. Spielte bei Luc Perceval die Titelrolle in »Andromache«, nach Racine. Ein Totenstarretanz, bei dem jede Bewegung gleichsam herausgehauen werden musste aus einem Standbild der Spielenden. Menschsein: Versteinerung einer Gattung. Aber so gewann jeder Augenaufschlag die Wucht und das Wundersame und das Ungeheuerliche einer unerwarteten Weltschöpfung. Mehr tat Lampe nicht: sitzen, blicken, Augen schließen, die Beine unterm weiten langen Kleid hochziehen. Und ein paar Sätze ins eigene Schweigen hineinsagen - in dem scheinbar das Leidschweigen all jener Frauen der Weltdramatik gesammelt war, die sie bis dahin gespielt hatte. Neben dem Theater war sie auch dem Film verbunden, insbesondere der Regisseurin Margarethe von Trotta.

Nun ist Jutta Lampe, 1937 in Flensburg geboren, in der Nacht auf Donnerstag in Berlin gestorben.

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