»Farbenblind sind meistens Jungs«

Wissenschaftsredateur Steffen Schmidt erklärt: die Gene für lichtempfindliche Farbstoffe liegen auf dem X-Chromosomen. Deshalb haben Personen, die nur eins haben, eher Probleme mit Farbenblindheit.

»Farbenblind sind meistens Jungs«

Steffen, warum ich dich heute um Rat frage: Mein fast zweijähriger Sohn kennt zwar alle Namen der Kinder in seiner Kitagruppe, aber wenn ich ihn frage, welche Farbe ein Auto hat, dann kann er auch nach der 50. Erklärung, was Rot ist und was Blau, die Farben nicht unterscheiden. Als besorgte Mutter, die ihr Kind sowieso für hochbegabt hält, habe ich sofort gegoogelt und herausgefunden, dass Menschen erst mit zwei oder manche erst mit vier Jahren in der Lage sind, Farben zu unterscheiden. Warum ist das so?

Dr. Steffen Schmidt
Dr. Steffen Schmidt, Jahrgang 1952, ist Wissenschaftsredakteur des »nd« und der Universalgelehrte der Redaktion. Auf fast jede Frage weiß er eine Antwort – und wenn doch nicht, beantwortet er eine andere.
Regina Stötzel fragte ihn nach verdrehten Telefonschnüren.

Das hat mehrere Gründe. Einer davon ist, dass die Zellen, die im Auge für die Farbwahrnehmung zuständig sind, die sogenannten Zäpfchenzellen, sich offenbar etwas später entwickeln als die Stäbchenzellen. Mit denen können wir einfach nur Hell-Dunkel-Unterschiede wahrnehmen, sie sind dafür aber sehr viel empfindlicher. Hinzu kommt, dass wir von diesen Zäpfchenzellen drei verschiedene Typen haben, die für jeweils verschiedene Wellenlängenbereiche, also Lichtfarben, zuständig sind. Und die für das kurzwelligste, also die für Blau, entwickeln sich etwas später als die anderen. Und dann muss natürlich das Gehirn, das ja eh schon eine ganze Menge in der Zeit lernen muss, außerdem auch noch lernen, mit diesem neuen Reiz umzugehen.

Also muss ich mir keine Sorgen machen, dass mein Sohn farbenblind ist?

Nicht zwangsläufig. Andererseits ist der wunde Punkt: Die Rot-Grün-Farbenblindheit ist eine Spezialität von Jungs.

Warum ist das so?

Weil die Gene für die lichtempfindlichen Farbstoffe in den Zäpfchenzellen dummerweise auf dem X-Chromosom liegen. Menschen, die zwei X-Chromosomen haben, haben zwangsläufig die Möglichkeit, mit einem intakten Gen das andere zu übertönen. Wenn sie aber nur eins davon haben, wie biologische Jungs, dann haben sie diese Möglichkeit nicht.

Und was hat sich die Evolution dabei gedacht, dass Frauen, was die Farbwahrnehmung angeht, einen Vorteil haben?

Das ist eine interessante Frage. Es hat schon lange gedauert, bis wir eine gute Theorie dafür hatten, warum Menschenaffen, zu denen wir zählen, überhaupt Rot und Grün unterscheiden können. Das können die anderen Wirbeltiere in der Regel nicht. Und die wichtigste Idee ist, dass in dem Gebiet, wo sich die modernen Menschen herausgebildet haben, der feine Unterschied nützlich war, zwischen reifen und unreifen Früchten unterscheiden zu können.

Dann gibt es noch was total Irres: Leute, die Wochentage mit Farben verbinden.

Die Synästhetiker, bei denen ist offenbar im Gehirn was anders verschaltet. Viele Leute, die sich berufsmäßig mit Düften beschäftigen, sind oft Synästhetiker, da gibt es wohl einen Zusammenhang.

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