Gutes Pathos, schwer erarbeitet

Zum 250. Geburtstag von Beethoven hat Mikaël Ross eins der besten Comics des Jahres veröffentlicht

  • Maximilian Schäffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Beethoven, der »Goldjunge«. Mikaël Ross beweist mit diesem Buch über die Jugendjahre Beethovens, dass er tatsächlich einer der besten Comic-Autoren Deutschlands ist.

Der in Berlin lebende Ross hatte 2018 das allererste Comic-Stipendium der Senatsverwaltung für Kultur und Europa erhalten, dotiert mit 16 000 Euro. Im Zuge dessen entstand »Der Umfall«, in dem er einen Jungen mit geistiger Behinderung porträtierte - eine herausragende Arbeit. Wie der heute 36-Jährige seine Figuren bewegt, wie er Perspektive, Sprechblasen und Vollseiten (sogenannte Splash Pages) nutzt, ist konstant virtuos.

Sein zweiter Alleingang »Goldjunge« erscheint nun pünktlich zum versemmelten Beethoven-Jahr im Berliner Avant-Verlag. Ross weiß, dass gutes Pathos in Erzählungen schwer erarbeitet werden muss. Ein paar ekstatische Schwurbelbilder und etwas Wikipedia reichen nicht aus, auch wenn das mittlerweile die übliche Vorgehensweise im historisierenden Comic zu sein scheint. Alle paar Wochen kommt ein neues mediokres Geschichtsporträt mit Sprechblasen auf den Markt, von Weltkrieg bis Warhol. Die 192 Seiten »Goldjunge« hingegen will man nicht nur begaffen und dann »schön« sagen, man muss sie lesen.

Der junge Beethoven ist ein gebeutelter Mensch, unverstanden wie alle Genies, dazu kränkelnd und verarmt. Ständige Durchfälle, Hörprobleme und Herzensschmerzen stören ihn bei der Arbeit. Unentwegt schreibt er Noten und sucht Anerkennung. Der Egomane Mozart gibt sie ihm nicht, Haydn nimmt ihn unter seine Fittiche.

Ross konzentriert sich vor allem auf die Bonner Jahre des Komponisten, schmückt die Biografie des Meisters durch Interpretationen anhand des überlieferten Charakters aus. Ein sehr sensibles, gleichzeitig fast arrogantes Kind ist »Luddi«, sein Stand in der Gesellschaft, die früh sterbende Mutter und der saufende Vater verunsichern ihn sehr.

Große Erfolge lassen erst einmal auf sich warten, das gilt für jeden Aspekt seines Lebens. Joseph Haydn warnt ihn: »Die Wiener werden deine Musik zu kompliziert finden. Sie mögen es süß!« Beethoven gibt dem Publikum ein paar Minuten lang Mozart-Zucker und setzt dann selbst mit dem Klavier ein - das Klavierkonzert Nr. 2 wird 1795 zu seinem Durchbruch.

Auch Ross hat eine Transformation hinter sich; sein Stil ist gegenüber früheren Veröffentlichungen wie »Lauter Leben!« (zusammen mit Nicolas Wouters) deutlich zugänglicher, weniger expressiv. Trotzdem ist der Mann zu Orgien imstande - ausschweifende, bunte Buntstiftkolorationen vermischen sich in der Wiedergabe Beethovens musikalischer Ausbrüche mit der konservativer gezeichneten Narration. Muss man dieses Buch stilistisch einordnen, kann man anmerken: »klassisch europäisch mit obskuren, japanoiden Elementen«. Tim und Struppi sind da drin, Akira kann man auch finden.

Politische, gesellschaftliche, gar wissenschaftliche Umbrüche des ausgehenden 18. Jahrhunderts werden in »Goldjunge« auch erwähnt. In Frankreich revolutioniert es gewaltig, Perücken und Puder gelten langsam als affig. Eindrucksvoll ist wieder eine Szene mit Durchfall: Beethoven schickt mehrere Quacksalber weg, die ihn von seinen Koliken heilen wollen. Der erste kommt ihm mit Säftelehre und Aderlass, der zweite will einen kalten Kaffeeeinlauf einführen, der dritte diagnostiziert eine Vergiftung und verabreicht irgendeine bittere Arzenei.

Ein vielschichtiges Buch ist Ross’ Beethoven-Stückchen geworden, eins der besten Comics des Jahres - eins, das sich ruhig Literatur nennen kann. Der Zeichner und Autor gab einst an, jahrelang am Existenzminimum gelebt zu haben. Stipendien sind heutzutage auch kein Spaß mehr, aber immer noch besser als Sternburg zu trinken oder für die Werbebranche zu illustrieren.

Die Lehr- und Leidensjahre müssen nun enden - Ross ist schlauer als Ralf König, mindestens derselbe Erfolg muss ihm in Zukunft beschieden sein.

Mikaël Ross: Goldjunge. Beethovens Jugendjahre. Avant, 192 S., geb., 25 €.

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