Ruhe im Karton

2600 Einsatzkräfte sollen Böllerverbotszonen überwachen - Feuerwehr plant dennoch für den Ernstfall

  • Tomas Morgenstern
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine Silvesternacht in Berlin ohne ohrenbetäubende Knallerei und feuerspeiende Raketen, ohne Rauchschwaden in den Straßen und berauscht auf Plätzen und in Parks feiernden Menschentrauben? Und auch ohne die heulenden Sirenen von Ambulanzen, Löschfahrzeugen und Streifenwagen? Corona dürfte der gefühlten Partyhauptstadt diesmal tatsächlich einen ungewohnt ruhigen Jahreswechsel aufnötigen.

Darauf setzen zumindest Senatsinnenverwaltung, Polizei und Feuerwehr. Um das Infektionsgeschehen in Berlin nicht durch ausufernde Silvesterfeiern und damit in der Regel häufig verbundene zusätzliche Gesundheitsgefährdungen außer Kontrolle geraten zu lassen, wurden für diesen Zeitraum zusätzliche Maßnahmen ergriffen. Die Stadt befindet sich seit dem 16. Dezember im Lockdown, und obwohl die Zahl der Neuerkrankungen nicht deutlich sinkt und viele Krankenhäuser am Limit arbeiten, reagieren viele Berliner genervt auf die jüngsten Beschränkungen. Auch registrieren die Behörden erste Versuche, die Bestimmungen zu unterlaufen. So räumte die Polizei in Kreuzberg in einem Späti ein illegales Lager mit Feuerwerkskörpern, aus dem unter Missachtung des berlinweiten Verbots Böller an Jugendliche verkauft worden waren.

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Um das Verkaufsverbot von Silvester-Feuerwerk war bis zuletzt gestritten worden. Den Versuch von Herstellern und Händlern, das Verbot zu kippen, hatte vor allem der Bundesverband für Pyrotechnik und Kunstfeuerwerk unterstützt. Am Montagabend hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg das bundesweite Verkaufsverbot bestätigt. Die Grüne Liga sprach von einem Glücksfall für Umwelt und Gesundheit. »Genießen Sie an Neujahr die frische Luft, die sauberen Straßen und investieren Sie die eingesparten Euros in das Leben eines oder mehrerer Bäume«, riet sie den Berlinern. »Dann wird nicht nur dem Personal im Krankenhaus geholfen, sondern auch dem Klima und Ihrer Gesundheit. Und für 2021 wünschen wir uns ein langfristiges Böllerverbot.«

Innensenator Andreas Geisel (SPD) verteidigte das Verkaufsverbot von Feuerwerkskörpern sowie die Einrichtung von Böllerverbotszonen in der Stadt entschieden. Die vom Senat in der Vorwoche verabschiedete Liste ist lang und außergewöhnlich detailliert. Das Netz dieser insgesamt 56 Örtlichkeiten, an denen Menschen nicht verweilen und eben auch keine Böller oder Raketen zünden dürfen, umfasst ganze Straßenzüge und etliche kleinere und größere Plätze in den Bezirken. Zwei der Verbotszonen, auf dem Alexanderplatz und im Steinmetzkiez/Pallasstraße, waren bereits 2019 zur Gefahrenabwehr angeordnet worden. In der RBB-Abendschau appellierte Geisel am Montag an die Menschen, auch zu Silvester die Kontakte zu minimieren. »Das Infektionsrisiko ist einfach zu groß«, sagte er.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat Zweifel an der Wirksamkeit den Maßnahmen des Senats. »Diese Böllerverbotszonen kamen zu spät«, sagte Berlins GdP-Vize Thomas Spaniel im RBB. »Man hatte noch Gelegenheit, nach Polen zu fahren über den sogenannten kleinen Grenzverkehr und hat sich wahrscheinlich noch mit genügend Böllern eindecken können.« Er gehe davon aus, dass es an Silvester in Berlin trotz der Einschränkungen »massiv abgehen« werde. Sowohl die Polizei als auch die Feuerwehr erklärten dem »nd« allerdings auf Anfrage, dass ihnen keine Informationen über eine vermehrte Einfuhr der illegalen »Polen-Böller« vorliegen.

Die Verbotszonen würden vielleicht nicht jeden illegalen Böller verhindern können, räumte Geisel ein. »Aber die Polizei ist mit 2600 Polizistinnen und Polizisten unterwegs.« Sie würden zum Raumschutz eingesetzt und unter anderem dafür sorgen, dass »keine unangemessenen Versammlungen« stattfinden. »Natürlich kann die Polizei in dieser Riesenstadt nicht überall sein. Aber da, wo sie ist, wird sie das Recht durchsetzen«, so Geisel. Wer bei Zuwiderhandlungen ertappt werde, werde mit einem Ordnungsgeld in Höhe von 1000 Euro zur Kasse gebeten.

Die Berliner Feuerwehr setzt auch in der bevorstehenden Silvesternacht auf ihre langjährigen Einsatzerfahrungen und hat sich auf den, wie sie es formuliert, »Ausnahmezustand Silvester« vorbereitet. »Wir bereiten uns unabhängig von Corona auf diesen Jahreswechsel genauso intensiv wie in den vorangegangenen Jahren vor«, versicherte Feuerwehr-Sprecher Dominik Pretz dem »nd«. »Wir hoffen, dass es ruhiger wird, können das aber nicht voraussetzen.« Erfahrungsgemäß sei in der Silvesternacht die Verletzungs- und Brandgefahr durch die private Verwendung von Pyrotechnik besonders hoch, heißt es in einer gestern verbreiteten Mitteilung. Vor allem in der Notfallrettung und bei der Brandbekämpfung werde mit einem stark erhöhten Notruf- und Einsatzaufkommen gerechnet.

Insgesamt leisten zum Jahreswechsel 1370 Einsatzkräfte Dienst - 850 Berufsfeuerwehrleute sowie 526 ehrenamtliche Kräfte von 58 Freiwilligen Feuerwehren. 427 Fahrzeuge seien besetzt. Unterstützt werden sie durch 98 Rettungskräfte von Hilfsorganisationen und Bundeswehr sowie rund 30 Kräften des Technischen Hilfswerks (THW). Die Besatzung der Einsatzzentrale wird von 24 auf 72 Mitarbeiter aufgestockt. Insgesamt werde die Personalstärke im Vergleich zum Regelbetrieb fast verdreifacht, teilte die Feuerwehr mit.

»Wir haben unsere Aufstellung natürlich vor dem Hintergrund der Pandemielage angepasst«, versicherte Landesbranddirektor Karsten Homrighausen. So würden dank der Absage der zentralen Festveranstaltung am Brandenburger Tor Kapazitäten für andere Einsätze frei. Sorge mache ihm in diesem Jahr die völlige Enthemmtheit. »Spontane Ansammlungen und übermäßiger Alkoholkonsum können dann wieder dazu führen, dass Einsatzkräfte angegriffen werden.« Vor einem Jahr seien bei 24 Übergriffen drei Rettungskräfte verletzt worden.

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