+++ Lockdown-Verlängerung zeichnet sich ab +++

Der Newsblog zur Coronakrise - Sonntag, 3. Januar 2020: +++ Landesarmutskonferenz warnt vor »Jahr der Armut« +++ Virologe Drosten erwartet schwierige sechs Monate +++

  • Lesedauer: 7 Min.

Berlin. Eine Verlängerung der Corona-Beschränkungen über den 10. Januar hinaus wird immer wahrscheinlicher: Laut einem Bericht der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« (FAS) einigten sich die Länder bereits vor den nächsten Bund-Länder-Beratungen am kommenden Dienstag auf einen längeren Lockdown. Die Chefs der Staatskanzleien seien sich allerdings nicht einig darüber, ob dies zunächst für zwei oder drei Wochen beschlossen werden sollte. Auch beim Umgang mit Schulen und Kitas herrscht Uneinigkeit.

Die derzeitigen, zum 16. Dezember in Kraft getretenen Kontaktbeschränkungen gelten noch bis zum 10. Januar. Ziel der bundesweiten Einschränkungen ist es, die Zahl der Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner auf maximal 50 innerhalb einer Woche zu senken.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte »RTL Aktuell« (Samstag), angesichts der immer noch zu hohen Zahlen sei es notwendig, die Einschränkungen, zu verlängern. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderte eine Fortsetzung des Lockdowns um weitere drei Wochen. »Vorschnelle Lockerungen würden uns wieder weit zurückwerfen«, sagte er der »Bild am Sonntag«.

Spahn hält eine weitere Schließung von Schulen und Kitas für richtig. Das sei zwar für Schüler und Eltern schwierig. Es sei jedoch »für alle leichter, jetzt eine Woche länger die Schulen zu zu haben, als sie aufzumachen und dann irgendwann in einigen Wochen wieder vor Debatten zu stehen«. Auch Söder sprach sich für eine längere Schließung von Kitas und Schulen aus.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hält dagegen eine Öffnung von Kitas und Grundschulen ab Mitte Januar für denkbar. »Ich kann mir vorstellen, dass es epidemiologisch vertretbar wäre, Kitas und Grundschulen in der zweiten Januarhälfte zu öffnen«, sagte Lauterbach der in Düsseldorf erscheinenden »Rheinischen Post« (Samstag). Voraussetzung dafür wäre, dass alle anderen Klassenstufen geteilt werden und wechselnd Präsenz- und Digitalunterricht erhalten oder der Präsenzunterricht ganz ausgesetzt wird.

Ärztevertreter warnten, die Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems sei noch nicht abgewendet. Sie drängen deshalb auf eine Verlängerung des Lockdowns. Die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Susanne Johna, sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstag), das Gesundheitssystem brauche dringend eine Entlastung, die nur durch eine Verlängerung der Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung zu erreichen sei. Ähnlich äußerte sich der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt.

+++ Landesarmutskonferenz warnt vor »Jahr der Armut« +++

Hannover. Die Landesarmutskonferenz Niedersachsen warnt davor, dass 2021 ein »Jahr der Armut« wird. »Als Folge von Corona wird die Armut weiter zunehmen, und jeder Lockdown verschärft die Situation zusätzlich«, erklärte Geschäftsführer Klaus-Dieter Gleitze am Sonntag in Hannover. Die aktuellen Diskussionen über zusätzliche Fördermittel für Konzerne, außerordentliche Wirtschaftshilfen und Umsatzerstattungen für Betriebe oder Steuererleichterungen für Homeoffice seien notwendig und richtig: »Armut und ihre Folgen werden hier aber zur Zeit fast völlig ausgeblendet.«

Die Landesarmutskonferenz fordere deshalb alle Akteure auf, endlich mit der Diskussion über eine menschenwürdige Perspektive für Arme auch unter den Bedingungen von Corona und Lockdowns zu beginnen. Das sei in einem Superwahljahr mit sechs Landtagswahlen und Bundestagswahl auch eine demokratische Notwendigkeit, um den Betroffenen Ängste zu nehmen, mit denen sie sonst Opfer von rechtspopulistischen Parteien würden. Gleitze: »Die wachsende Spaltung zwischen Arm und Reich muss ein zentrales Thema im Wahljahr werden.«

Aus Sicht der Landesarmutskonferenz müssen unter anderem der Hartz-IV-Regelsatz und die Grundsicherung angehoben sowie Armen ein einmaliges Corona-Geld in Höhe von 1.000 Euro zur Deckung von Corona-Sonderausgaben ausgezahlt werden. Auch kostenlose Corona-Masken und Tests für Arme seien wichtig. Superreiche müssten durch eine Vermögensabgabe an der sozial gerechten Finanzierung der Krisenfolgen beteiligt werden.

+++ Virologe Drosten erwartet schwierige sechs Monate +++

Berlin. Der Berliner Virologe Christian Drosten erwartet hinsichtlich der Coronavirus-Pandemie ein herausforderndes erstes Halbjahr 2021. »Ich schaue schon optimistisch auf das neue Jahr, aber ich glaube, dass die erste Jahreshälfte sehr kompliziert werden wird«, sagte Drosten der »Berliner Morgenpost « (Sonntag). Er rechne damit, dass ab der zweiten Jahreshälfte eine Entspannung eintreten könnte - vorausgesetzt, es würden in den ersten sechs Monaten sehr viele Personen geimpft.

Drosten nannte es eine Herausforderung, einerseits die Inzidenz nach unten zu bekommen und gleichzeitig zu impfen. Er prophezeite: »Wir werden in eine Situation kommen, wo wir große Teile der Risikogruppen geimpft haben und es dann Kräfte geben wird, die sagen, dass es jetzt keinen Grund mehr gibt für Einschränkungen.« Dies werde allerdings eine Fehleinschätzung sein, denn es dürften grundsätzlich keine sehr hohe Inzidenzen zugelassen werden, auch nicht bei den Jüngeren.

Zur Diskussion um angeblich zu geringe Bestellmengen von Impfstoff sagte der Virologe, dies sei im Nachhinein kaum zu bewerten. Der Impfstoff habe mit Monaten Vorlauf bestellt werden müssen, ohne dass zu diesem Zeitpunkt klar gewesen sei, ob er auch funktionieren würde.

Eine Prognose, wann die aktuellen Beschränkungen aufgehoben werden könnten, wollte Drosten nicht abgeben: »Wir haben zurzeit keine validen Zahlen, weil die Labore über die Feiertage weniger getestet haben, aber auch weil viele Menschen, die krank geworden sind, nicht zum Arzt gegangen sind.« Ob der Lockdown bis in den Februar verlängert werden muss, könne nicht vorhergesagt werden.

+++ Patientenschützer fordert genauere Impf-Priorisierung +++

Berlin. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz fordert eine neue kleinteilige Impfverordnung, die eine genauere Reihenfolge der zu Impfenden festlegt. »Die Bundeskanzlerin sowie die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten sind gefordert, dem Impf-Wirrwarr am Dienstag ein Ende zu setzen«, sagte Vorstand Eugen Brysch der Deutschen Presse-Agentur. »Denn der Bundesgesundheitsminister hat bei der Impf-Priorisierung versagt. Er kannte die logistischen Herausforderungen des Impfstoffes und seine begrenzte Verfügbarkeit. Es war sein Fehler, in der ersten Phase gleichberechtigt acht Millionen Menschen auf eine Stufe zu stellen.«

Der größte Teil der Pflegebedürftigen lebe zuhause. Ihr Risiko sei ähnlich dem der Heimbewohner, denen Spahn nun eine Impfung im Januar versprochen hat. Viele seien hilfsbedürftig. »Es war daher vorhersehbar, dass die für Organisation und Terminvergabe zuständigen Länder schnell an ihre Grenzen stoßen werden. Zudem wurden nicht-mobile Menschen schlichtweg vergessen. Konzepte für aufsuchende mobile Impfangebote verschwanden in den Schubläden der Länder und Kommunen.« Mit den Alleingängen der Länder bei der Information und Terminvergabe via Homepages, Apps, Anschreiben und Call-Center eskaliere jetzt die Lage.

»Deshalb müssen Bund und Länder jetzt die Reißleine ziehen«, verlangte Brysch. »Deshalb sind Impf-Angebote zunächst für Pflegebedürftige zuhause und im Heim vorzuhalten. Anschließend sind die über Achtzigjährigen und die Altenpflegekräfte dran. Mit dem Impfangebot für das Personal auf Corna-Stationen der Krankenhäuser kann die erste Phase abgeschlossen werden«, schlug der Patientenschützer vor. »So kann auch das Impfsystem planvoll hochgefahren werden.«

+++ »Querdenker« tanzen und singen ohne Abstand am Alex +++

Berlin. Mehr als ein Dutzend Menschen haben am Samstag auf dem Alexanderplatz in Berlin unter Missachtung der Corona-Abstandsregeln und teils ohne Maske zusammen gesungen und getanzt. Wie in einem auf Twitter verbreiteten Video zu sehen ist, bildeten die Männer und Frauen eine Polonaise und bewegten sich zu einem Lied mit der Textzeile »Ein bisschen SARS muss sein« nach der Melodie von »Ein bisschen Spaß muss sein«.

Ein Polizeisprecher bestätigte, dass Teilnehmer der Kundgebung »Querdenken 30« auf dem Alex durch Singen ohne Mund-Nasen-Schutz auffällig wurden. Sie würden derzeit überprüft. Auch die in dem Video hörbare Textzeile sei von Polizisten mindestens einmal gehört worden.

+++ 10 315 Corona-Neuinfektionen und 312 neue Todesfälle gemeldet +++

Berlin. Die deutschen Gesundheitsämter haben am Sonntag 10 315 Corona-Neuinfektionen binnen eines Tages gemeldet. Außerdem wurden 312 neue Todesfälle innerhalb von 24 Stunden verzeichnet, wie das Robert Koch-Institut (RKI) am Morgen bekanntgab. Eine Interpretation der Daten ist jedoch momentan schwierig, weil während der Weihnachtsfeiertage und um den Jahreswechsel herum wahrscheinlich weniger Menschen getestet werden und möglicherweise nicht alle Ämter ihre Daten übermitteln. Dadurch kann es laut RKI noch zu Nachmeldungen kommen.

Die Zahl der binnen sieben Tagen an die Gesundheitsämter gemeldeten Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner (Sieben-Tage-Inzidenz) lag am Sonntagmorgen bei 139,6. Ihr bisheriger Höchststand war am 22. Dezember mit 197,6 erreicht worden. Die Unterschiede zwischen den Bundesländern sind jedoch enorm: Die höchsten Inzidenzen hatten am Samstag Sachsen mit 329,7 und Thüringen mit 248,9. Den niedrigsten Wert hatte Schleswig-Holstein mit 77,4.

Das RKI zählte seit Beginn der Pandemie 1 765 666 nachgewiesene Infektionen mit Sars-CoV-2 in Deutschland (Stand: 03.01., 00.00 Uhr). Die Gesamtzahl der Menschen, die an oder unter Beteiligung einer nachgewiesenen Infektion mit Sars-CoV-2 gestorben sind, stieg auf 34 272. Die Zahl der Genesenen gab das RKI mit etwa 1 381 900 an.

Der bundesweite Sieben-Tage-R-Wert lag laut RKI-Bericht vom Samstag bei 0,95. Dieser R-Wert bedeutet, dass 100 Infizierte rechnerisch 95 weitere Menschen anstecken. Der Wert bildet jeweils das Infektionsgeschehen vor 8 bis 16 Tagen ab. Liegt er für längere Zeit unter 1, flaut das Infektionsgeschehen ab. Das RKI betont in seinem Bericht aber, dass zum Jahreswechsel Corona-Fälle nur verzögert entdeckt, erfasst und übermittelt werden, »so dass der R-Wert gegebenenfalls unterschätzt wird«. Agenturen/nd

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