Böller als Connewitzer Brauchtum

Diskussionspapier kritisiert »notorische Verklärung« von Gewalt in Teilen der Leipziger linken Szene

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Im November 2019 wurde eine Immobilienmaklerin in Leipzig in ihrer Wohnung von linken Aktivisten überfallen. Die Firma, für die sie arbeitete, baute damals im Stadtteil Connewitz teure Wohnungen. Derlei Bauvorhaben, erklärten die Angreifer, sehe man als unzulässigen »Angriff auf einen Raum der radikalen Linken«, der mit der körperlichen Attacke quasi vergolten werde.

Die Gewalttat einer selbst ernannten »Kiezmiliz« sorgte auch in der linken Leipziger Szene für Empörung – und war wesentlicher Auslöser für ein Papier, das gut ein Jahr später jetzt publiziert wurde und sich kritisch mit dem Verhältnis mancher Linker zu Militanz und Gewalt beschäftigt. Es erschien auf der Seite des »Roten Salon« im Kulturzentrum »Conne Island«. Die Autoren haben eine aktivistische Vergangenheit in der Antifa, sind heute meist Akademiker und bekennen sich zu linken Werten. Sie haben jedoch kein Verständnis dafür, wie manche diese durchzusetzen hoffen. Aktionen wie der Angriff in der Privatwohnung, sagt Mitautor Uli Schuster, seien »nicht mehr vermittelbar«.

Das Papier mit dem Titel »The Great Connewitz Swindle« geht hart mit den militanten Teilen der Szene ins Gericht. Dort werde linke Gewalt »notorisch verklärt«, heißt es. Begründet würden militante Aktionen gern mit einer lokalen Tradition der Sicherung alternativer Freiräume und der Notwehr gegen Nazis. Allerdings handle es sich dabei um »Mythologisierung«. Der Versuch einer Dekonstruktion dieses »Mythos Connewitz« bestimmt weite Passagen des recht akademischen Papiers. Anhand prägnanter Ereignisse – der Abwehr der befürchteten Räumung besetzter Häuser im November 1992, der ersten Silvesterrandale 1998/1999 und einer Straßenschlacht mit der Polizei Ende 2015 – wird der Versuch unternommen, den »Realitätsgehalt der Legende vom widerständigen Connewitz« zu untersuchen.

Nach Ansicht der Autoren halten viele Behauptungen einer kritischen Prüfung nicht stand. Connewitz als alternatives Viertel sei beispielsweise eher in den Umständen der Nachwendezeit gediehen als »erkämpft« worden. Generell kommen sie zu dem Schluss, dass die Leipziger Verhältnisse für die alternative Szene viel weniger feindlich seien, als von dieser postuliert. Im Gegenteil würden etliche ihrer politischen Ziele vom Mainstream geteilt – mit der Folge, dass sich ein Teil der Szene »nicht mehr anders abzusondern weiß als durch Militanz«. Beschrieben wird auch, wie sich diese fragmentiert und verändert hat, etwa durch die Fanszene des Fußballvereins BSG Chemie Leipzig, mit der eine »Wahlverwandtschaft« bestehe. Gewalt, lautet ein Resümee, folge in Connewitz vielfach keiner politischen Agenda mehr, sondern sei »Brauchtum« geworden.

Die Reaktionen im Viertel sind gespalten. Manche sehen in dem Papier die seit langer Zeit beste Analyse eines Phänomens, mit dem wenige Akteure ein ganzes Viertel mit 18 000 Bewohnern in »Geiselhaft« nähmen. Andere stempeln das Papier als »rechts-antideutsch« oder »Machwerk von Salonkommunisten« ab. Jule Nagel, in Connewitz direkt gewählte Landtagsabgeordnete der Linkspartei, gehört zu den Kritikern. Zwar lehnt auch sie Eskalationen ab. Als im Herbst 2020 aus einer Demonstration gegen Gentrifizierung heraus Pyrotechnik auf den Balkon eines bewohnten Hauses geworfen wurde, empörte sie sich über Leute, die bei »punktuellen Spektakeln« auftauchten, um ihren »Gewaltfetisch auszuleben«. Dem Papier wirft sie aber einen »verengten Blick« auf den Stadtteil vor. Gesellschaftliche Zustände würden »verklärt«. Das gelte für »autoritäre Entwicklungen« in Staat und Gesellschaft, die Kommerzialisierung von Freiräumen und die Funktion von Connewitz als »Prellbock« von Nazis und konservativer Politik. Vorfälle wie der Naziüberfall auf Connewitz am 11. Januar vor fünf Jahren würden nicht berücksichtigt.

Nagel teilt die Ansicht, dass sich die Szene mit ihrem Verhältnis zu Militanz und Gewalt befassen müsse. Ihrer Einschätzung nach hat es diese Debatte in einigen Initiativen sowie nach den Ereignissen Silvester 2019 / 20 gegeben. Dagegen ist Schuster überzeugt, dass es eine selbstkritische Diskussion über das Verhältnis zu Militanz derzeit nicht gibt: »Das wird nicht thematisiert.« Einerseits fehle eine Plattform für Debatten in der zunehmend kleinteiligen Szene. Eine Zeitschrift, in welcher in der Nachfolge des einstigen Leipziger »Klarofix« widerstreitende Positionen publiziert werden könnten, existiere nicht mehr.

Darüber hinaus aber werde Widerspruch – wie auch das aktuelle Papier – schnell als unsolidarisch gebrandmarkt. Schuster hält das für unzutreffend. Er und seine Mitautoren, betont er, teilten weiter linke Werte. Sie fordern aber eine kritische Überprüfung der Mittel und Methoden, mit denen für sie gestritten wird. Schuster verweist darauf, in welche Tradition sich Linke mit einem Bekenntnis zu Militanz stellten: »Da ist man schnell auch bei der Gewalt der RAF.« Die Autoren drängen daher auf Klarstellung: »Hier ist Schluss. Das ist nicht mehr links.«

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