Städtisches Leben und alte Fabriken

Brandenburg blickt 2021 auf seine Industriekultur, deren Tradition und Zukunft

  • Tomas Morgenstern
  • Lesedauer: 5 Min.

An der Schwelle zum 19. Jahrhundert begann sich mit der frühkapitalistischen Produktion das Leben der Menschen in der Mark Brandenburg tiefgreifend zu verändern. Zunehmend prägten Werkstätten und Fabriken auch das Erscheinungsbild der Städte und Gemeinden. Manche davon haben sich, wiederholt anders als ursprünglich genutzt und baulich verändert, bis in die Gegenwart erhalten. Im Jahr 2021 rückt Brandenburg den Wert dieses identitätsstiftenden Erbes des Industriezeitalters, seinen Erhalt für künftige Generationen, in den Blick der Öffentlichkeit.

Dass sich sowohl die Arbeitsgemeinschaft Städte mit historischen Stadtkernen als auch der Verein »Kulturland Brandenburg« der Materie mit ganz ähnlich formulierten Themenstellungen widmen, folgt dabei einer in den vergangenen 18 Jahren bewährten Praxis. Den Auftakt dazu machte die Stadtkern-AG, die 31 Mitgliedskommunen vereint. Am Donnerstag stellte sie ihre Vorhaben in einer Onlinekonferenz in Potsdam vor.

Die Coronakrise stellt auch die Städte und Gemeinden vor riesige Herausforderungen, nicht zuletzt, weil viele Gastronomen, Einzelhändler sowie Kulturstätten infolge der Lockdown-Bestimmungen vor einer ungewissen Zukunft stehen. Sollte es zu einer Welle dauerhafter Schließungen kommen, drohen viele der in den Vorjahren rekonstruierten Innenstädte in Brandenburg zu veröden.

Dem steuert das Land, unterstützt vom Bund, mit umfangreichen Fördermaßnahmen und Initiativen entgegen, wie Brandenburgs Bauminister Guido Beermann (CDU) in einem Grußwort erklärte. »Derzeit bereiten wir auch die Weiterentwicklung der ›City-Offensive Brandenburg‹ hin zu einem breit ansetzenden landesweiten Bündnis für lebendige Innenstädte vor«, sagte er. »Die Bündnispartner werden sich in diesem Rahmen für die Entwicklung der Innenstädte als lebendige, vielfältige und unverwechselbare Kerne unserer Städte einsetzen.« Im breiten Austausch zu Potenzialen und Maßnahmen der Innenstadtbelebung suche man nach Wegen, wie attraktive, lebendige Stadtzentren zu schaffen und das historische Erbe zu erhalten und zukunftsfest zu machen seien.

Die Arbeitsgemeinschaft stellt die Belebung der historischen Stadtkerne in diesem Jahr unter das Motto »Vergangenheit mit Zukunft - Industriekultur in historischen Stadtkernen«. Mit ihren Projekten und Aktivitäten richte sie, wie es in einer Mitteilung heißt, »ihren stadtgeschichtlichen Blick auf lokale Produktionsstandorte und Industriezweige, den Einfluss der Industrialisierung und der damit verbundenen technischen Erfindungen und Infrastrukturen auf die Stadtentwicklung« und verdeutliche gleichzeitig »den heutigen Nutzungswandel industrieller Gebäude«.

Wie Annett Jura (SPD), Bürgermeisterin von Perleberg (Prignitz) und zugleich stellvertretende Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft, erklärte, lehne sich die eigene Themensetzung an das Kulturland-Jahresthema »Zukunft der Vergangenheit - Industriekultur in Bewegung« an. Die AG beteilige sich daran wieder mit ihrer Serie »Unser Denkmal des Monats«. »Wir werden da perfekt sanierte, restaurierte und vor allem in Nutzung befindliche Gebäude vorstellen können, die von Industriekultur in unseren historischen Stadtkernen erzählen«, sagte Jura. So werde im Januar die »Alte Mälzerei« in Angermünde (Uckermark) vorgestellt. Um 1900 als Teil der damaligen Brauerei von Franz Pasche errichtet, wurde der stadtbildprägende Klinkerbau ab 2016 saniert und für barrierefreies Wohnen umgebaut. Im Mai geht es um die einstige Seifensiederei Nürrenbach in Potsdam. 1751 begründet, werden erhaltene Gebäudeteile im heutigen »Luisenforum« für innovative Einzelhandelskonzepte und ein Planungsstudio des Möbelhauses IKEA genutzt. Auch mit ihren Stadtraumausstellungen werde sich die AG wieder am Kulturlandjahr beteiligen, versicherte Annett Jura. Bislang dabei seien Brandenburg/Havel, Kyritz, Peitz, Wittstock, Wusterhausen und Rheinsberg.

Der Start zum Themenjahr »Kulturland Brandenburg 2021« werde voraussichtlich im Mai in Eberswalde (Barnim), der Wiege der Industriekultur in Brandenburg, erfolgen, wie Geschäftsführerin Brigitte Faber-Schmidt dem »nd« sagte. Auf der Vereinswebseite heißt es, dass man gemeinsam mit 40 Partnern an einer Vielzahl von künstlerischen und kulturellen Projekten arbeite. Ausstellung, Musik- und Filmevents sowie Workshops sollen wie stets im gesamten Land umgesetzt werden. Brandenburg werde 2021 die Industriekultur in den Landeskulturfokus rücken, da sie angesichts andauernder Transformationsprozesse in den industriell geprägten Regionen und Städten neue Impulse für die Herausforderungen der Zukunft benötige - so umriss Faber-Schmidt den thematischen Ansatz. Der Begriff Industriekultur wurde im 20. Jahrhundert geprägt. Er müsse heute neu gedacht werden, erforderlich sei ein Wechsel der Perspektiven, fordert sie in einem Konzeptpapier. »Brandenburg ist auch heute ein Industrieland; gewerbliche Produktion ist in vielen Städten und Gemeinden eng mit dem Selbstverständnis der lokalen Gesellschaft verbunden. Denn eine vollständige Deindustrialisierung hat auch in Wittenberge, Eberswalde, Luckenwalde, Guben oder Lauchammer bis heute nicht stattgefunden.« In den alten Städten der Maschinen-, Stahl- oder Textilproduktion und in der Kohle- und Energieregion in der Lausitz hätten sich die Industriestrukturen nicht in Luft aufgelöst, sondern sich stattdessen deutlich verändert.

»Von 2005 an ist die Anzahl der Arbeitsstellen in der brandenburgischen Industrie um fast ein Drittel gestiegen«, heißt es bei Kulturland. Das betreffe Bereiche wie Metallerzeugung und Metallverarbeitung, die Kunststoff- und die Chemieindustrie, die Ernährungsindustrie, Optik und Photonik sowie Verkehr, Mobilität und Logistik.

Als prominentes Beispiel für industriellen Wandel wird die Lausitz angeführt. Dem dramatischen Strukturwandel nach dem Ende der DDR folgt dort mit dem Kohleausstieg ein weiterer Umbruch. Aber die in den vier südlichen Landkreisen und Cottbus gewachsene Industriewirtschaft sei hoch komplex, nur zehn Prozent der Industriearbeitsplätze heute in der Kohle- und Energiewirtschaft. Nicht nur, dass in Teilen des Tagebaulandes inzwischen Europas größtes künstliches Seenland entstehe. Dort und in anderen Regionen Brandenburgs finde heute ein Umbau der industriellen Strukturen statt. »So erlebt die Industrie zwischen Lausitz, Prignitz und Uckermark keinen Untergang, sondern eine kleine Renaissance«, heißt es im Konzeptpapier. Als Belege dafür werden die Ansiedlung des Autobauers Tesla in Grünheide, die Stärke der erneuerbaren Energien und die Netzwerke neuer dezentraler, mittlerer und kleiner Industrieproduzenten im Land angeführt.

Die vielen noch bestehenden Bergbaugroßgeräte, Textil-, Papier- und Tuchfabriken, Tagebaue, Ziegeleien, Kraftzentralen oder Bahnanlagen der vergangenen 200 Jahre sind lebendige Zeugnisse brandenburgischer Industriegeschichte. Ihre Standorte hat bislang vor allem die Tourismuswirtschaft in den Fokus gerückt. So weist das Reiseland-Portal der Tourismusmarketing-Gesellschaft 74 Einträge zur »Industriekultur in Brandenburg« aus. In einem gleichnamigen touristischen Netzwerk wirken Akteure wie das Textilmuseum Forst, das Museumsdorf Baruther Glashütte, der Optikpark Rathenow, das Sender- und Funktechnikmuseum Königs Wusterhausen und der Ziegeleipark Mildenberg mit.

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