Cavani und das Heilbutt-Syndrom

Sonntagsschuss

Es soll Menschen geben, die lesen die Bibel oder Tolstoi mehrfach, weil sie in jedem Lebensabschnitt etwas anderes daraus ziehen. Mir geht es mit dem »Leben des Brian« von Monty Python so, das ich über Weihnachten sicher zum 20. Mal gesehen habe. Jedes Mal fallen mir dabei neue Aspekte auf. Dass sich die Briten über Religion und blinde Gefolgschaft ebenso amüsiert haben wie über das linke Milieu (»eine solche Interessendivergenz innerhalb ihrer Machtbasis reflektieren«) ist ja längst nicht alles.

Das Stück ist auch eine hervorragende Parodie eines Phänomens, das es damals noch gar nicht gab. Man könnte es das »Heilbutt-Syndrom« nennen. Der uruguayische Stürmer Cavani wurde jüngst dessen Opfer. Er wurde vom Britischen Fußballverband (FA) zur Zahlung von 100 000 Pfund verurteilt und für drei Spiele gesperrt. Er hatte sich per Instagram bei einem guten Freund mit den Worten »gracias, negrito« bedankt. Die FA wertete das als »beleidigend, missbräuchlich und unangemessen«. Hört, hört, würden sie bei »Brian« sagen. Javier Caceres, der im Gegensatz zu den auffallend oft nicht sehr reisefreudigen Sprachrichtern in West- und Nordeuropa des Spanischen mächtig ist, hat das für die »SZ« dann mal eingeordnet: »Die uruguayische Sprachakademie erinnerte daran, dass Termini wie negrito oder negrita in Uruguay genauso als Kosenamen verwendet werden wie etwa gordito oder gordita, also: Dickerchen - ohne dass sich zwingend Rückschlüsse auf die Hautfarbe oder den Body Mass Index der oder des jeweils Umgarnten ziehen ließen.« Das gelte auch »für gleichfalls gängige, von Zärtlichkeit geprägte Begriffe wie mi reina oder mi rey (meine Königin/mein König). Wer derlei äußere, sei genauso wenig Monarchist wie Cavani Rassist, betonten die Linguisten.«

So ist das mit der Sprache, sie ist vom Kontext abhängig. Wenn ich meinen 180 Kilo schweren Nachbarn als »Digger« bezeichne, ist das etwas anderes als das »Digger«, das Millionen von Jugendlichen benutzen. Und, ebenfalls sensationell: Die Welt ist größer als Europa und die USA, auch außerhalb von Universitäten unterhalten sich Menschen. Und das meist konfliktfreier als auf dem Campus. Der Reflex, Menschen ans Kreuz zu nageln, weil ein Signalwort fällt, ist und bleibt so lächerlich, wie er 1979 war, als »Brian« gedreht wurde.

Der alte Zausel, der dort hingerichtet wird, soll ganz klassisch Gott gelästert haben. Er bestreitet das, er habe lediglich gesagt: »Ich glaube, dieses Stück Heilbutt wäre gerade richtig für Jehova.« Das besänftigt den Lynchmob aber nicht im Geringsten: »Ohh! Blasphemie! Er wiederholt seine Sünde«, ruft der. Und steinigt am Schluss sogar den Richter, denn auch dessen Warnung Richters enthielt das Wort »Jehova«: »Niemand hat irgendjemanden zu steinigen (...). Selbst wenn, und ich möchte, dass das absolut klar ist, selbst wenn irgendjemand Jehova sagt.«

Im Falle von Cavani wurde niemand in seinen Gefühlen verletzt. Zumindest nicht in Südamerika, wo sich die schwarze Community stattdessen sehr über die selbstgerechten Europäer aufgeregt hat, die heute im Namen eines von wem auch immer beschlossenen Sprachkodex so dogmatisch agieren wie es früher die Religionen taten, die Monty Python mit ihrer »Heilbutt«-Bild treffen wollten.

Dass die Welt an den eigenen Maßstäben genesen soll, hat die FA in der vergangenen Woche auf beeindruckende Art und Weise selbst bestätigt. Cavani wurde vom Vorwurf des Rassismus freigesprochen, worüber er sehr erleichtert gewesen sein dürfte. Zweierlei Verbrechen habe er sich aber dennoch zuschulden kommen lassen. Zum einen das des unabsichtlichen Rassismus. Vor allem aber das des unbritischen Verhaltens, wie man das in vergangenen Zeiten noch genannt hätte. »Die FA akzeptierte die Argumentation, dass Cavani, der aus Paris nach Manchester gewechselt war, in der Kürze der Zeit die Bedeutung des in Südamerika harmlosen Begriffs in Großbritannien nicht habe einschätzen können«, heißt es dazu unfreiwillig komisch in einer Meldung. Übersetzt heißt das: Wenn die dummen Negritos nicht verstehen, wodurch sie rassistisch beleidigt werden, sind sie selbst schuld. Wir weißen Briten von der FA sind da eben ein bisschen weiter. Und wer ist jetzt noch mal der Rassist?

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das beste Mittel gegen Fake-News und rechte Propaganda: Journalismus von links!

In einer Zeit, in der soziale Medien und Konzernmedien die Informationslandschaft dominieren, rechte Hassprediger und Fake-News versuchen Parallelrealitäten zu etablieren, wird unabhängiger und kritischer Journalismus immer wichtiger.

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!

Unterstützen über:
  • PayPal