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Pfiffe aus dem Kölner Orkus
SONNTAGSSCHUSS: Nur fast ein Loblied auf den Fußball
Es gibt dieser Tage viele Gründe, ein Loblied auf den Fußball zu singen. Codiert heißen sie 2:2, 1:1 und 5:6. Das sind die Ergebnisse von Leipzig und Dortmund, die am Wochenende in der Liga jeweils nur Unentschieden spielten. Und vom FC Bayern, der im DFB-Pokal beim Zweitligisten Holstein Kiel rausflog.
Natürlich ist die Bundesliga-Tabelle trotz der überraschenden Punktverluste immer noch so vorhersehbar und langweilig wie eh und je. Doch zum einen gibt es unerwartete Farbkleckse, allen voran die erstaunlichen Berliner Unionisten auf Platz 5. Und zum anderen ist es nicht so, dass die drei Branchenriesen eine Klasse für sich bilden. Dafür haben alle drei zu viele Punkte gegen die Wegelagerer der Branche verloren. Menschen, die mit dem Profifußball noch nicht komplett abgeschlossen haben, könnte die Liga also gerade richtig Spaß machen.
Dass das bei mir anders ist, liegt auch an der veränderten Rolle des Schiedsrichters im Profifußball. Unbestritten ist, dass auch dort das Gleiche gilt wie generell im Fußball: je höher das allgemeine Niveau, desto höher auch das individuelle. Heißt: In der Regel - manche Schiedsrichter sind Ausnahmen und werden dennoch munter weiterbefördert - wird in der Bundesliga deutlich akkurater gepfiffen als in der Landesliga. Und dennoch rege ich mich dort weit öfter über die Zunft auf, unvernünftigerweise, ich weiß. Das dürfte zum einen daran liegen, dass es auf den nicht ganz so glamourösen Plätzen oft keine Fernsehkameras und nie den unseligen Video-Beweis gibt. Ein zu Unrecht gepfiffener Elfer geht dem Anhänger eines Oberligisten genauso an die Nieren wie einem Bayern-Fan. Doch im Gegensatz zu Letzterem muss er sich die entsprechende Szene danach nicht in 37 Kameraeinstellungen ansehen. Sein Ärger verraucht schneller. Zum einen, weil im unterklassigen Stadion schon nach wenigen Sekunden wieder Fußball gespielt wird und schon mit dem nächsten Zweikampf das nächste Mal auch der Adrenalinspiegel umgegrätscht werden kann. Und zum anderen weil der Amateursport gnädiger ist: Wenn Schiedsrichter irren, bleiben auch beim Publikum Restzweifel. Denn selbstverständlich weiß auch der Rentner in der knallgrünen Ballonseidenjacke, dass er sich verguckt haben kann, wenn er dem Linienrichter aus 80 Metern Entfernung ein »Abseits, du Blinder!« hinterherschleudert.
Eine der vielen Schimären, die der Profifußball propagiert, ist hingegen die, dass es in ihm gerechter zugehe als auf den Dorfplätzen. Genährt wird diese Fiktion durch wahre Aufmerksamkeitsexzesse für jedes noch so banale Foul und jede noch so unwichtige Abseitsentscheidung. Wenn die halbe Fußspitze, mit der der Angreifer über einer kalibrierten Linie ist, im Standbild festgehalten ist, wenn sich der Kölner Keller mehrere Minuten lang eine strittige Szene anschaut und die Experten sich schon während des Spiels im Off die Köpfe heiß diskutieren, geht es aber nur noch theoretisch um Fußball.
Was 90 Minuten lang auf dem Platz passiert, ist aber egal, wenn die 128. Regelreform beim DFB immer noch nichts daran geändert hat, dass die Hand-Regel ein großer Schwachsinn ist. Seit Längerem merkt man den Abwehrspielern an, dass sie beim Rausrücken aus dem Strafraum von der Angst getrieben sind, den nächsten albernen Handelfmeter zu verschulden, weil ihnen der Ball aus 13 Zentimetern Entfernung an den am Oberschenkel anliegenden kleinen Finger geraten ist. Auch das sorgt dafür, dass immer öfter aus dem Orkus entschieden wird, wie ein Fußballspiel verläuft. So ein kleiner Finger wird im echten Leben ja schon mal übersehen.
Am Samstag ist in Stuttgart nach ausufernder Exegese in der 95. Minute ein Strafstoß zum 2:2 gepfiffen worden, bei dem - das war gegen Mitternacht dann auch die einhellige Expertenmeinung - die Video-Schiedsrichterin gar nicht hätte eingreifen können. Gladbach hat deshalb jetzt zwei Punkte weniger. Um den Bundesliga-Fußball ernst nehmen zu können, sind mir praxisfremde Regeln zu wichtig und das Geschehen auf dem Platz zu unwichtig geworden. Viele Profis sehen das ähnlich. Doch im Gegensatz zu mir bekommen sie eine Geldstrafe, wenn sie das laut sagen.
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