»Wie können wir Folgendes darstellen?«

Er wusste, wie es geht: Originaltonaufnahmen zeigen Bertolt Brecht bei seiner letzten Probenarbeit

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 4 Min.

Aus irgendwelchen Gründen, die letztlich wohl Missverständnissen, Verleumdung oder der hiesigen Deutschlehrerzunft geschuldet sind, stellt man sich Bertolt Brecht noch immer als einen öden, oberlehrerhaften Er- statt Aufklärer vor, der der Welt zuvorderst den ominösen V-Effekt hinterlassen habe. »V« wie Verfremdung, also immer, wenn’s irgendwie komisch wird. Dieses Bild stimmt natürlich vorne wie hinten nicht, wird aber immer wieder aufgefrischt, sodass sich heute an Brecht zu orientieren irgendwie als unschick gilt. Obwohl die Wirkung aufs Theater kaum zu unterschätzen ist, auf den Film nebenher auch nicht, wie Fassbinder und Godard zeigen. Dabei mag die Abkehr von Brecht auch dem geschuldet sein, dass seine Theaterarbeit im Gegensatz zu den Schriften weniger zugänglich war und ist.

Nun aber kann man Brecht bei der Arbeit hören. Der Theatermacher Stephan Suschke hat im Archiv einige Originaltonaufnahmen gefunden, aufgenommen bei den Proben zu »Galileo Galilei« am Berliner Ensemble, die von Dezember 1955 bis ins Frühjahr 1956 stattfanden. Brechts sich verschlechternde Gesundheit verhinderte eine Fortführung, im August desselben Jahres starb er.

Man hört also einen mittelalten, kränklichen Mann, der mit vernehmbarem dialektalen Einschlag aus dem Bayerischen sein Wissen und seine Erfahrungen weitergibt. Die Schauspieler, mit denen er arbeitet, sind beispielsweise Ernst Busch, Ekkehard Schall und Fred Düren, seine Assistenten Benno Besson und B. K. Tragelehn.

Brechts Aufmerksamkeit richtete sich zwar auch auf die Zahnschmerzen seiner Mitmenschen, doch vor allem auf die Proben, man merkt, wie sehr er ein Theaterarbeiter und -handwerker war. Der auch in Zorn geraten konnte, wenn sich ein Schauspieler seiner Meinung nach zu früh und ungerechtfertigt vom Schauplatz der Arbeit entfernte. Noch nie sei so etwas vorgekommen, ruft er dann mit erhobener, aber dünner Stimme. Und insbesondere die Deutung der Figur des titelgebenden Renaissancewissenschaftlers führte zu zahlreichen Kontroversen mit dem berühmten Ernst Busch. Brecht hat »sich immer mit Busch gestritten, ihm gesagt: ›Busch, Sie spielen einen Verbrecher, das ist ein Krimineller, ein Mann, der die Wahrheit weiß und sie nicht sagt.‹ Und Busch sagte immer: ›Aber Brecht, das haben Sie nicht geschrieben‹«, beschrieb Heiner Müller einmal dieses Aufeinandertreffen.

»Show, don’t tell«, zeigen, nicht erzählen, heißt es heute an jeder Schule für Kreatives Schreiben - und durchaus nicht unähnlich versucht der Kommunist Brecht, das Gestische der darstellenden Kunst zu betonen. Bloß nicht erklären! Bloß nicht wie die Urania klingen, mahnt er, jeden Eindruck populärwissenschaftlicher Belehrung vermeiden. Er fragt also in die Runde: »Wie können wir Folgendes darstellen?« Man merkt das Anliegen, einen Vorgang auf der Bühne zu zeigen, der präzise und poetisch zugleich ist, in dem nichts verloren geht. Rhythmus und Tempo sind ebenso wichtig wie Melodie und Intonation. Und wer je wieder behauptet, es gäbe bei Brecht keine Figurenpsychologie (also keine Menschen, die denken und fühlen), sollte sich doch einmal zum Abgleich anhören, mit welcher Akribie Brecht menschliche Figuren auf die Bühne bringt. Nur banalisierend sollte sie eben nicht sein, die Psychologie.

Eine Szene baut sich freilich nicht von allein, immer wieder ruft Brecht die Spieler auf, mitzudenken, sich einzubringen, Vorschläge zu machen. »Anything goes«, also alles ist möglich, war aber seine Parole nicht. Es muss schon passen. Was nicht geht, sind falsches Pathos und hoher Ton. Brecht kämpfte gegen die Vorherrschaft des Effekts auf der Bühne - Überwältigung war nicht sein Ziel (gelernt hatte er solche Lektionen nicht nur beim spätbürgerlichen Theater, sondern insbesondere angesichts dessen politischer Indienstnahme durch die Nazis). Doch war ihm das Publikum nicht egal - es sollte nicht betrogen, aber vor allem auch nicht gelangweilt werden. Zu diesem Zweck griff Brecht, man hört es immer wieder, auch in den eigenen Text ein, machte Striche, wenn es nötig war.

Das im Exil verfasste Stück »Galileo Galilei« oder auch »Leben des Galilei«, Hanns Eisler komponierte die Musik für die Lieder, wurde 1943 in Zürich und in den USA mit Charles Laughton in der Titelrolle aufgeführt. Brechts Regiearbeit sollte das Stück auch in der DDR zur Erstaufführung bringen. Die Premiere zu erleben, blieb ihm verwehrt, sie fand erst nach seinem Tod statt. Insgesamt über zwei Stunden Originalaufnahmen auf zwei CDs sind es, eine dritte beinhaltet eine Toncollage von Joachim Werner - vertrieben von Speak Low in ausgesprochen schöner Aufmachung mit 50-seitigem Booklet inklusive zahlreicher Abbildungen. »Wie können wir Folgendes darstellen?«, das dürfte als Leitfrage interessierten Theatermachens keineswegs veraltet sein. Und wer hören möchte, wie Brecht sich daran abgearbeitet hat, findet nun Gelegenheit. Möglicherweise auch zur Korrektur des eigenen Brecht-Bildes.

Brecht probt Galilei 1955/56. Ein Mann, der keine Zeit mehr hat. Originaltonaufnahmen. Ausgewählt u. komment. v. Stephan Suschke. 3 CDs (151 Min.) u. Booklet, Speak Low, 50 S., geb., 25 €.

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