Linke Doppelmoral hinter Clubhouse

Aktivist:innen hypen eine neue App und deklarieren, diese habe das Potenzial, Safe Spaces zu bieten. Allein das ist ein Widerspruch in sich, findet Orry Mittenmayer

  • Orry Mittenmayer
  • Lesedauer: 3 Min.

Über meine Hoffnung, intersektionale Solidarität zu leben: »Clubhouse – die App, mit viel Potenzial«. So oder ähnlich in diese Richtung hören sich die Lobeshymnen der vergangenen Wochen an. Stories auf Instagram werden überflutet mit Screenshots, die belegen, dass man ganz vorne mit dabei ist.

But for real? Vergessen, die zum Teil kleinlaute Kritik an dem höchstproblematischen, übergriffigen Zugang auf die Kontaktlisten der User:innen. Die künstlich erzeugte Exklusivität, die mithilfe eines unverhohlenen Apple-Klassismus arbeitet und damit nur ein kleiner Teil der Bevölkerung gezielt angesprochen wird? Pustekuchen, es sei ja erst die Betaversion, müsse man jetzt nicht so eng sehen. Oder das hörgeschädigte und gehörlose Menschen große Probleme haben, daran teilzunehmen bzw. die App barrierenunüberwindbar ist? Ein Schelm, wer das kritisiert. Denn der Zweck heiligt die Mittel.

Zur Person

Orry Mittenmayer engagiert sich für demokratische Mitbestimmung in der Plattformökonomie unter anderem bei Lieferdiensten. Er ist Experte für gewerkschaftliche Arbeit, demokratische Mitbestimmung und BiPoC Aktivist. Mittenmayer studiert derzeit in Marburg Politikwissenschaft. Man findet ihn auch bei Instagram und Twitter.

Doch frage ich mich als Schwarzer Schwerbehinderter CIS-Mann, für wen heiligt der Zweck die Mittel? Ich bin schwerhörig auf die Welt gekommen und kann nur mithilfe eines sogenannten Cochlea Implantats hören. Keineswegs ist es eine neue Erfahrung für mich, dass die Mehrheitsgesellschaft die Bedürfnisse von Schwerbehinderten Menschen und marginalisierten Communities nicht berücksichtigt und diese oftmals sogar ausgrenzt. Ich engagiere mich zusammen mit vielen anderen Aktivist:innen, Politiker:innen und Organisationen gegen gewaltvolle, rassistische und sexistische Strukturen in Deutschland und wir kämpfen gemeinsam, alle auf unterschiedlichen Arten und Weisen, für eine Gesellschaft, die solidarisch und inklusiv ist.

Neu aber ist für mich, dass vermehrt einige linke Aktivist:innen und politische Persönlichkeiten ebenfalls diese App hypen und deklarieren, dass Clubhouse das Potenzial hat, Safe Spaces zu bieten. Allein das ist ein Widerspruch in sich. Ein Safe Space besteht aus einer inklusiven Infrastruktur mit der einzigen Aufgabe, Räume zu ermöglichen, die außerhalb von rassistischen und sexistischen Strukturen existieren. Es waren vor allem Schwarze Frauen, die um den Wert eines inklusiven Safe Spaces wussten und für solche Räume kämpften. Es gehört zu den größten erkenntnistheoretischen Leistungen von Schwarzen Frauen, die schon immer allein aufgrund ihrer Existenz gezwungen waren, intersektional zu kämpfen, um die bestehenden Ungerechtigkeiten zu durchbrechen.

Eine App, die auf einem exklusiven Geschäftsmodell basiert und durch den Hype legitimiert wird, kann und wird nie intersektional sein. Es ist verblüffend zu beobachten, mit welcher Doppelmoral die Kritik an dieser App abgewiegelt wird. Eine Doppelmoral, die man sonst nur auf eine allzu vertraute und schmerzhafte Art bei der weißen Mehrheitsgesellschaft wiederfindet, wenn sie in Teilen defensiv auf Rassismus-Vorwürfe reagiert. Nur, dass es dieses Mal vor allem marginalisierte Menschen trifft, die oft weder von der Mehrheitsgesellschaft noch den marginalisierten Communities gesehen werden.

Aus kompromisslosem Einsatz gegen rassistische und sexistische Strukturen wird eine gefühlte Kompromissbereitschaft gegenüber ableistischen Strukturen. Nicht selten wird sich um eine pervertierte Täter-Opfer-Umkehrung bemüht, in der Schwerbehinderte dazu aufgefordert werden, die wenigen Ressourcen und Safe Spaces, zu denen nicht-behinderte marginalisierte Menschen Zugang haben, nicht noch mehr einzuschränken oder gar Behinderungen gegeneinander aufzuwiegen.

Zwei Fragen stellen sich mir an dieser Stelle: Wie nachhaltig sind diese Safe Spaces und der Versuch, anti-rassistische Kämpfe voranzutreiben, wenn nur ein exklusiver Teil der marginalisierten Communities darauf Zugang hat? Sind Schwerbehinderte nicht auch Menschen, die ein Recht auf genau diese Safe Spaces haben?

Ich glaube daran, dass radical softness, Solidarität und intersektionaler Feminismus der Weg sind, um unsere tiefen Narben und Wunden, die wir alle als marginalisierte Menschen erleiden müssen, zu heilen und unsere Gesellschaft voranzubringen. Wenn wir uns diese Werte zu Herzen nehmen, dann glaube ich, können wir Welten bewegen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal