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Katzen statt Bären in Wilkau-Haßlau

Nach Rückzug von Haribo aus dem Osten gibt es einen möglichen Nachnutzer für Süßwarenwerk in Sachsen

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn man sich in Wilkau-Haßlau von Gelatine trennen kann, dann gibt es eine Chance, dass die rund 100-jährige Tradition bei der Süßwarenherstellung fortgesetzt wird. Ende 2020 hatte der Gummibärenhersteller Haribo dort überraschend sein einziges ostdeutsches Werk geschlossen und 150 Mitarbeitern gekündigt. Jetzt sieht es so aus, als könnte ein deutscher Konkurrent das Werk fortführen: die Katjes Fassin GmbH & Co. KG aus Emmerich in Nordrhein-Westfalen. Das Unternehmen sei »bereit, den Kauf des Standortes zu prüfen«, sagte Martin Dulig (SPD), Wirtschaftsminister in Sachsen. Voraussetzung: Die Herstellung der ausschließlich vegetarischen Produkte von Katjes muss in Wilkau-Haßlau möglich sein, und Haribo muss dem Verkauf des Werkes zustimmen. Dulig sagte, er »erwarte« zügige Verhandlungen.

Der Rückzug von Haribo und dessen Umstände hatte für Proteste gesorgt. Das Management teilte im Oktober mit, das Werk solle zum Jahresende geschlossen werden - zum 100-jährigen Jubiläum von Haribo. Zur Begründung verwies man auf hohen Investitionsbedarf für das vor 30 Jahren von der Treuhand gekaufte Werk. Mitarbeitern wurden Arbeitsplätze an den anderen vier deutschen Standorten in Aussicht gestellt, die aber rund 500 Kilometer entfernt sind. Die Schließung Ost kam zwei Jahre nach Einweihung eines Werksneubaus am Stammsitz in Grafschaft bei Bonn. Dulig hatte sich an die Situation in den 1990er Jahren erinnert gefühlt, als Investoren aus dem Westen reihenweise Filialen im Osten abwickelten.

Wie tief in Sachsen die Enttäuschung über die Firmenpolitik des deutschen Fruchtgummi-Marktführers sitzt, lässt sich aus Duligs lobenden Worten über den potenziellen Nachfolger heraushören: Katjes sei ein Familienunternehmen »mit einer hohen sozialen Verantwortung«, so der SPD-Mann: »Die wissen, was Sozialpartnerschaft heißt.« Zudem sei für Katjes »auch der Osten nicht neu«. Das Unternehmen betreibt seit 2006 in Potsdam-Babelsberg eine Bonbonfabrik mit einer Art gläsernen Produktion, bei der Besucher bei der Herstellung der Süßwaren zuschauen können.

Insgesamt hat Katjes, in Deutschland die Nummer Drei der Branche, bisher nur drei Niederlassungen in der Bundesrepublik: neben Emmerich und Potsdam ein Werk in Remshalden in Baden-Württemberg. Das Unternehmen beschäftigt rund 500 Mitarbeiter. Es geht zurück auf eine 1910 in den Niederlanden gegründete Firma, die im Sommer Fliegenfänger herstellte und - weil diese in der kalten Jahreszeit weniger gefragt waren - im Winter Lakritz; beide Produkte basieren auf Zuckersirup. Das Rezept soll einer der beiden Firmengründer, der italienische Vorfahren hatte, aus Sizilien mitgebracht haben. 1950 wurde das Unternehmen aufgeteilt; der Süßwarenzweig zog nach Emmerich um. Katjes, dessen Firmenname auf das holländische Wort für »Kätzchen« zurückgeht, gehört zu den Vorreitern, wenn es darum geht, auf neue Trends in der Ernährungsbranche zu reagieren. Seit 1988 wurde auf künstliche Farbstoffe verzichtet, seit 2007 werden nur noch natürliche Aromen eingesetzt, und seit 2016 werden ausschließlich vegetarische Produkte ohne die in Weichgummis sonst übliche tierische Gelatine hergestellt. Das Unternehmen befindet sich bis heute im Mehrheitseigentum der Gründerfamilie und »expandiert solide«, sagt SPD-Bundeschef Norbert Walter-Borjans.

Er äußert sich zu der möglichen Ansiedlung von Katjes in Sachsen, weil diese offenbar auf SPD-interne Bemühungen zurückgeht. Dulig, der Ostbeauftragter seiner Partei ist, trug die Causa in deren Vorstand. Walter-Borjans wiederum kennt Katjes aus seiner Zeit als Minister in Nordrhein-Westfalen; der Firmensitz liegt im Wahlkreis von Barbara Hendricks, ehemals Bundesumweltministerin und Schatzmeisterin der SPD. Walter-Borjans sprach davon, dass »eine enge Kooperation von Landes- und Bundes-SPD Früchte trägt«. Die Politik könne zwar »weder Firmenschließungen verbieten noch Neuansiedlungen erzwingen«; sie könne aber helfen, Kontakte zu knüpfen.

Noch ist offen, ob die Verhandlungen von Haribo und Katjes, die laut dem SPD-Chef »angelaufen« sind, zum Erfolg führen. Immerhin »keimt wieder Hoffnung«, sagt Sachsens DGB-Chef Markus Schlimbach. Thomas Lißner, Sekretär der Gewerkschaft NGG, ist zuversichtlich, »dass 100 Jahre Süßwarentradition fortgeführt werden können«.

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