Kieze ohne Leben

Berlins Kleingewerbe steht nicht nur in der Pandemie unter Druck

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 4 Min.

Für Wohnungsmieter hat sich mit dem Mietendeckel einiges verbessert, doch für Gewerbetreibende ist die Situation so prekär wie eh und je. Bei einer Veranstaltung des Kreuzberger Nachbarschaftszentrums Regenbogenfabrik haben sich Gewerbemieter am Dienstagabend über ihre Lage und ihre Strategien gegen Verdrängung ausgetauscht. Denn nach der Räumung der Neuköllner Kiezkneipe »Syndikat« stehen mit der Kollektivbar »Meuterei« und der Buchhandlung Kisch & Co zwei weitere Läden vor dem Aus.

»Der Kiez, das sind die Leute, die dort wohnen, und die Gewerbetreibenden, das kann man nur zusammendenken«, sagt Thorsten Willenbrock von Kisch & Co. Seit 23 Jahren gibt es die Kreuzberger Buchhandlung schon, seit Juni vergangenen Jahres allerdings ohne Mietvertrag. Das Haus wurde an einen Luxemburger Fonds verkauft, dessen Eigner, so vermutet Immobilienmarktexperte Christoph Trautvetter, wahrscheinlich die Erben des Tetra-Pak-Gründers Ruben Rausing sind. Ein neuer Mietvertrag für den Buchladen kam nicht zustande, die Räumungsklage folgte prompt. Anfang April soll vor Gericht entschieden werden.

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»Es sieht so aus, dass sie das Haus leer machen wollen«, vermutet Buchhändler Willenbrock. Vor vier Jahren hat er sich schon einmal gegen seine Verdrängung gewehrt. Dieses Mal gibt es prominente Unterstützung durch Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) und Kultursenator Klaus Lederer (Linke), die sich mit einem Brief an die Eigentümer gewandt haben. Doch Willenbrock glaubt nicht, dass sich dadurch etwas ändert: »Damals war es ein Unternehmen, das hier vor Ort war. Bei einer Kapitalgesellschaft, wie jetzt, kann man fast nichts machen.«

Auch Rechtsanwalt Benjamin Hersch, der den Buchladen vertritt, hat wenig Hoffnung. Die prekäre Lage des Gewerbes habe zwei Gründe, erklärt er: Einerseits sind die Laufzeiten der Mietverträge und die Mietpreise gesetzlich nicht geregelt. Andererseits fehlt den Gewerbemietern ein angemessener Kündigungsschutz. Das führe dazu, dass Befristungen bei Gewerbemietern der Regelfall sind, Verträge auslaufen und die Mietkonditionen immer wieder neu verhandelt werden müssen. »Vertragskonditionen neu zu bestimmen heißt, dass Vermieter deutlich mehr Miete haben wollen«, so Hersch. Wenn beide Parteien nicht übereinkommen, gebe es kaum Möglichkeiten, den Auszug zu verhindern.

Bei dem Verfahren zu Kisch & Co will Hersch das Gericht mit der Argumentation überzeugen, dass der Gesetzgeber übersehen habe, wie schlecht das Gewerbemietrecht ausgestaltet ist. Deswegen, so Hersch, müssten die Regelungen des Wohnraummietrechts angewendet werden. Zwar hat sich ein Gericht im Zuge der Urteils über die im vergangenen August geräumte Kneipe »Syndikat« schon einmal ausführlich und ablehnend mit dieser Argumentation beschäftigt. Doch Hersch gibt die Hoffnung nicht auf, dass ihm in diesem Fall ein Richter folgen wird.

Bestimmungen aus dem Wohnungsmietrecht für Gewerbe übernehmen - das ist auch das Ziel von Stefan Klein von der Initiative GloReiche Nachbarschaft. »Zwar ist dort auch nicht alles gut, aber verglichen mit dem Gewerbemietrecht leben Wohnungsmieter im Paradies«, sagt Klein, der auch Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten Canan Bayram ist. Die Grünen-Politikerin brachte im vergangenen Jahr einen Gesetzesentwurf für die Reform des Gewerbemietrechts in den Bundestag ein, der vorsah, dass die Miethöhe bei Neuvermietungen nicht über zehn Prozent der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen darf, wenn Landesregierungen einen Gewerbemietmarkt als angespannt festlegen. Kündigungen wären danach nur noch bei einem berechtigten Interesse möglich - zu dem die Profitabsichten des Vermieters nicht zählen. Befristete Mietverhältnisse hätten um zehn Jahre verlängert werden müssen, sofern es der Mieter verlangt. Erwartungsgemäß ist das Gesetz an den Mehrheitsverhältnissen im Bundestag gescheitert.

Die rot-rot-grüne Berliner Landesregierung hatte bereits im Herbst 2019 im Bundesrat einen Antrag für eine Mietpreisbremse für Gewerberäume eingebracht, weil sich die Preise für Läden in der Hauptstadt zum Teil mehr als verdreifacht hätten. Um auf Bundesebene ein Umdenken zu erreichen, müsse man jetzt, vor der Bundestagswahl im Herbst, kollektiv Druck machen und die Bundestagskandidaten fragen, wie sie die Lage der Gewerbetreibenden verbessern wollen, sagt Stefan Klein. Für den Buchladen Kisch & Co wird das wohl zu spät kommen.

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