Pop und Liebe ist wie Dick und Doof

Plattenbau

  • Jens Buchholz
  • Lesedauer: 3 Min.

Hiermit verzeihe ich Sven van Thom den Millenium-Schrottsong »Liebficken«. Offiziell. Zugegeben, er hat seit dem Jahr 2000 viele schöne Sachen gemacht. Beispielsweise das schöne Album »Ach!«, oder die Actionlesung »Tiere streicheln Menschen« mit Martin Gottschild. Vor allem aber hat er den tollen Song »Mein neuer Bruder« auf dem Kinderliedersampler »Unter meinem Bett 3« aufgenommen, der »Liebficken« praktisch neutralisiert. Mit seinem neuen Album »Liebe und Depression« ist er endgültig rehabilitiert. Und das liegt nicht nur an dem wunderschönen Cover.

Mit »Liebe und Depression« stellt sich Sven van Thom zwei Grundgefühlen der Gegenwart. Und da vermittelt uns der Liedermacher eine wichtige Botschaft: Das eine Gefühl ist ohne das andere nicht zu haben. Was uns im Leben mit der Liebe widerfährt, ist nie einfach nur eine Romanze oder nur ein Drama. Das Leben ist auch nie eine reine Komödie. Das Leben ist eher eine bittersüße, romantisch angehauchte Dramödie. Vielleicht handeln genau deshalb neunzig Prozent aller Popsongs entweder von Liebe oder Depression?

Popmusik ist das Reflexionsmedium der Liebe schlechthin. Und das prägt alle Popmusikhörer*innen und ihr Verhältnis zur Liebe. »Niemand sorgt sich um Kinder, die Tausenden - buchstäblich Tausenden - von Songs über gebrochene Herzen, Zurückweisung, Schmerz, Leid und Verlust lauschen«, beschwert sich Nick Hornby in »High Fidelity«. Und es stimmt ja auch, die Liebe hat immer etwas Melancholisches, oft auch Morbides an sich. Manchmal liegt sie nur einen Atemzug von Schmerz oder Hass entfernt.

Das weiß der weise Sven van Thom. Und so wacht das lyrische Ich des auf seinen leichten Gitarrenklängen schwebenden Albumeröffners »Verlieb dich bloß nicht in mich« gleich mal im Krankenhaus auf: »Das Drama geht nie über Kapitel 1 hinaus / wechselt ständig zur Komödie / und das Publikum lacht dich aus …«

Aber es geht auch positiv. In der nicht weniger filigranen Ballade »Die ganze Zeit« geht es um zwei Menschen, die lang gebraucht haben, um zueinanderzufinden. Obwohl es eigentlich immer schon klar war, dass sie zusammen gehören. »Ich trau mich noch nicht wirklich / kommt mir vor, wie wenn ich schlaf / Doch ein bisschen auch wie Elvis / who can’t help falling in love«. Pop und Liebe. Ein magisches Paar wie Dick und Doof.

In dem Achtziger-Westernclash-Dance-Pop-Song »Danke, gut« wird die Daueranspannung der immer fröhlichen Selbstoptimierer ins Verhältnis zu deren trauriger Vereinsamung gesetzt: »Depressiv beim Tindern / Depri im Verein / Depri mit den Kindern / Depri ganz allein … Schön, dass Du nachfragst / Danke, mir gehts gut.«

Noch viel prägnanter wird das in dem Song »Wie erwartet« bearbeitet, in dem jemand durch seine öden Routinen taumelt und sich schon über eine zufällige Berührung im Aufzug freut.In »Darüber kann ich nicht lachen« geht es um den Rechtsruck, Hasskommentare in den sozialen Medien und Verschwörungstheorien. Sven van Thom fasst das folgendermaßen zusammen: »Ihr seid laut und ihr seid viele / aber die Mehrheit seid ihr nicht.«

Noch ein paar Worte zur Coverkunst. Die Lyrics im Booklet bestehen aus lauter kleinen Kunstwerken. Abbildungen der Essenz des jeweiligen Songs. Der Text von »Die ganze Zeit« ist auf einem Kalenderblatt abgebildet. Und die kreisenden Gedanken des Songs »Selten« sind als Spirale abgebildet. Wunderbar bis in das kleinste Detail.»Liebe und Depression« ist liebevoll produzierte deutschsprachige Popmusik, die ihren Hörer*innen aus der Seele spricht. Und sie flüstert ihnen zu: Das Leben ist schrecklich, aber genau das ist ja das Schöne daran.

Sven van Thom: »Liebe und Depression« (Loob/Alive)

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