Jung, schwarz und hinter Gittern

Australien hat eines der härtesten Jugendstrafrechte, das vor allem Indigene hart trifft

  • Barbara Barkhausen, Sydney
  • Lesedauer: 4 Min.

2016 gingen schockierende Bilder durch die Medien: ein kleiner Junge, der von Gefängniswärtern mit Gewalt zu Boden gerissen und nackt ausgezogen wurde, ein Jugendlicher mit einem Sack über dem Kopf, der am Hals zugebunden war, seine Arme und Beine an einen Stuhl gefesselt. Der Skandal im Don Dale Centre, ein Jugendgefängnis im Norden Australiens, ging damals um die Welt. Auch wenn Misshandlungen wie diese sicher nicht an der Tagesordnung sind, so können in Australien nach wie vor Kinder ab zehn Jahren für ihre Handlungen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Dies bedeutet, dass sie von der Polizei festgenommen, in Untersuchungshaft genommen, von Gerichten verurteilt und inhaftiert werden können.

Zahlen des Australian Institute of Health and Welfare zeigen: 2018/19 standen an einem durchschnittlichen Tag rund 770 Kinder im Alter von zehn bis 14 Jahren unter der Aufsicht der Jugendgerichtsbarkeit. In der Altersgruppe zwischen zehn und 17 Jahren waren es im gleichen Zeitraum sogar 5700 Kinder und Jugendliche. 84 Prozent wurden in den Gemeinden selbst beaufsichtigt, der Rest jedoch verbrachte mindestens die Hälfte des Tages in Haft.

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»Kinder gehören in Klassenzimmer und auf Spielplätze, nicht in Handschellen, Gerichtssäle oder Gefängniszellen«, schrieb Chris Cunneen, Professor für Kriminologie an der University of Technology in Sydney, im vergangenen Jahr in einem Bericht für die akademische Fachzeitschrift »The Conversation«. Sein Bericht ist einer der wenigen Artikel zu dem Thema. Insgesamt ist der »mediale« Aufschrei in Australien selbst eher gering.

International gerät Australien aufgrund seiner Gesetzgebung aber immer wieder ins Visier der Menschenrechtsvertreter. Ende Januar verurteilten mehr als 30 Länder - darunter Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien - Australien bei den Vereinten Nationen wegen seiner hohen Inhaftierungsraten von Kindern. Sie forderten, dass das Land das Alter der Strafmündigkeit von zehn auf 14 Jahre anhebt und damit dem allgemein üblichen internationalen Standard anpasst.

Besonders beunruhigend ist zudem, dass die meisten Kinder in Jugendhaft Aborigines sind. »Während indigene Australier nur sechs Prozent der jungen Menschen zwischen zehn und 17 Jahren ausmachen, machten sie ungefähr 57 Prozent derjenigen aus, die in Jugendhaft sind«, sagte Andrew Walter, ein hochrangiger Beamter der Generalstaatsanwaltschaft, gegenüber dem Guardian. »Dieser Anteil steigt bei jungen Menschen zwischen zehn und 13 Jahren auf 78 Prozent.« Die Generalstaatsanwälte des Landes haben bereits 2018 eine Arbeitsgruppe zu dem Thema ins Leben gerufen, doch laut Walter wurde bisher keine Entscheidung gefällt.

Roxy Moore, eine indigene Menschenrechtsanwältin ist der Meinung, dass indigene Kinder in Australien seit den 1830er Jahren gezielt inhaftiert werden. Viele würden im Gefängnis sogar ums Leben kommen, schrieb sie auf Twitter. »Wir brauchen Regierungen, die unseren Kindern ihre Zukunft zurückgeben.« Lidia Thorpe, die erste indigene Senatorin im Bundesstaat Victoria, sagte, dass eine besonders große Gefahr darin liege, dass Kinder von ihren Eltern und ihren Gemeinschaften getrennt würden. »Dies lässt unsere Kinder in den Strudel des Strafrechts geraten und beeinflusst den Rest ihres Lebens.«

Michael Anderson, ein Stammesältester und Führer der Euahlayi im Norden des Bundesstaates New South Wales, berichtete per Telefon, wie verfahren die Beziehung zwischen Polizei und Aboriginal Jugendlichen inzwischen ist: »Sobald sie Polizeisirenen hören, bekommen sie sofort Schuldgefühle, als hätten sie etwas falsch gemacht.« Viele würden dann aus Angst auch wegrennen und somit der Polizei den Eindruck geben, dass sie etwas angestellt hätten und verfolgt werden müssten. »Unsere Jugend wird kriminalisiert«, sagte er. »Wir haben wirklich eine sehr ernste Lage hier in Australien, die sich nicht mit einer politischen Agenda lösen lässt.«

Anderson, selbst Anwalt von Beruf, plädiert wie auch große Teile der internationalen Gemeinschaft dafür, das Alter der Strafmündigkeit anzuheben: »Mindestens auf 13 Jahre«, ist seine Meinung. Kinder zwischen zehn und zwölf Jahren hätten noch gar nicht die Voraussicht, größere Verbrechen zu begehen, sagte er. Sie würden rein auf Situationen reagieren. Deswegen dürfe die Gesetzgebung in ihrer derzeitigen Form nicht bestehen bleiben. »Sie hat unseren Kindern die Unschuld genommen.«

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