Autos haben Priorität in Reinickendorf

CDU-Stadträtin ignoriert Beschluss der Bezirksverordneten für effektive Verkehrsberuhigung

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Reinickendorfer Bezirksstadträtin Katrin Schultze-Berndt (CDU) ist ein Bollwerk gegen die Verkehrswende. Am Donnerstagabend nach Redaktionsschluss dieser Seite präsentiert sie eine Lösung zur Verkehrsberuhigung für das Waldseeviertel, die weder den Durchgangsverkehr nennenswert reduzieren wird noch dem Willen von Anwohnern und Bezirksverordnetenversammlung (BVV) entspricht.

»Das Problem wird seit einer Generation von der CDU ausgesessen. Das finden wir als Bürger ungeheuerlich«, sagt Karl Michael Ortmann, Sprecher der Bürgerinitiative Waldseeviertel. Das Problem: Rund 6.000 Autos wälzen sich täglich durch die Schildower Straße, eine Nebenstraße, die mitten durchs Wohngebiet führt. Pendler sparen dadurch bis zu zweieinhalb Minuten zwischen der brandenburgischen Gemeinde Glienicke/Nordbahn und dem Ortsteil Hermsdorf.

Eine Lösung schien zum Greifen nah

Vor einem Jahr schien die beharrliche Arbeit der Bürgerinitiative endlich Früchte zu tragen. Ohne Gegenstimmen beauftragte die BVV das Bezirksamt mit einem Verkehrsversuch. Sogenannte Modalfilter sollten an zwei Stellen die Durchfahrt von Autos verhindern. Blumenkübel sollten die Straße so verengen, dass zwar Fahrräder passieren können, aber keine breiteren Fahrzeuge.

Doch die Bezirksverordneten haben die Rechnung ohne die Verkehrsstadträtin gemacht. Zunächst ließ sie eine Studie anfertigen. »Die Bedingung für den Verkehrsversuch war eine Verkehrsmessung«, sagt Jens Augner, verkehrspolitischer Sprecher der Bezirksfraktion der Grünen. »Nun gibt es ein Gutachten, das etwas anderes untersucht.«

»50.000 Euro an Steuermitteln für ein Gutachten, das keine neuen Erkenntnisse liefert und das Anliegen des einstimmig gefassten BVV-Beschlusses nicht aufgreift und untersucht, aber den Beschluss ersetzen soll, missachtet somit die legitimen Interessen der Bürgerinitiative Waldseeviertel und die Bezirksverordneten und beschädigt die Demokratie im Bezirk«, empört sich Linke-Fraktionschef und Verkehrsexperte Felix Lederle.

Einbahnstraßen helfen nicht

Den Bürgern soll von Stadträtin Schultze-Berndt als Lösung für die Verkehrsprobleme eine Einbahnstraßenregelung im Viertel präsentiert werden. Obwohl das »nd« vorliegende Gutachten unmissverständlich darlegt: »Es kann davon ausgegangen werden, dass ein Großteil des Durchgangsverkehrs, besonders in Lastrichtung, weiterhin durch das Wohngebiet fahren wird und die Maßnahme nicht den erwünschten Erfolg erzielt.«

Als klar wurde, wohin der Hase laufen soll, bildete sich eine weitere Bürgerinitiative, die am Mittwoch Hunderte Unterschriften gegen die Einbahnstraßenlösung an die CDU-Stadträtin übergab. Sie nennt deren Vorschlag einen »Irrsinn«. Die Bezirksregierung vertrete nicht die Interessen der Bürger, sondern der Umland-Autofahrer, heißt es darin.

»Katrin Schultze-Berndt ist offenbar der Ansicht, dass 90 Sekunden Zeitersparnis höherrangig sind als die Verkehrssicherheit auf Straßen, die nicht für eine überörtliche Erschließung ausgelegt sind und drei- bis viermal so viel Verkehr aufnehmen müssen wie vorgesehen«, sagt Linke-Politiker Lederle.

Die CDU-Bezirksfraktion will von ihrem eigenen Beschluss nicht mehr viel wissen. »Es ist nachvollziehbar und rechtlich einwandfrei, wenn die Stadträtin auf Basis einer Einschätzung des Rechtsamtes im Rathaus Reinickendorf und weiterer fachlicher Aspekte einen Beschluss der BVV nicht zu einhundert Prozent umsetzen kann«, heißt es in einer Mitteilung. Es entlarve »ein fragwürdiges Demokratieverständnis ebenso wie ein bedenkliches Rechtsverständnis der politischen Linken, wenn Rechtstreue der Umsetzung politischer Wünsche geopfert werden soll«.

»Das sogenannte Rechtsgutachten ist eine schlampige, unvollständige und einseitige Aktennotiz«, heißt es unisono in einer Einschätzung von Grünen, Linke und der Bürgerinitiative. Die Bewertung des »überwiegenden Gemeinwohls« sei eine politische Ermessensentscheidung. Die Stadträtin habe aber nur nach Gründen gesucht, warum es nicht geht.

Kampf auf dem Rechtsweg

Die Modalfilter werden im Verkehrsgutachten als »nicht verkehrsverträglich« eingeschätzt. Denn der Schleichverkehr durchs Wohngebiet würde sich demnach auf die Hauptstraße B96 konzentrieren. Allerdings stellt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung starker Durchgangsverkehr auf Nebenstraßen einen verkehrsregelungswidrigen Zustand dar. Und im Berliner Straßengesetz wird die Möglichkeit der sogenannten Einziehung von Straßenland zur Verkehrsberuhigung explizit genannt. Die Bürgerinitiative will nun ein eigenes Rechtsgutachten zur Zulässigkeit von Modalfiltern in Auftrag geben.

»Um sich ja nicht mit der Autofahrer-Lobby anlegen zu müssen, verschanzt sich die CDU-Stadträtin hinter einer fragwürdigen Rechtsinterpretation, instrumentalisiert das Rechtsamt des Bezirksamtes und beschädigt dessen Glaubwürdigkeit«, sagt Felix Lederle.

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