Ostern auf Mallorca

Die Reisebranche verbreitet auf ihrer internationalen Leitmesse ITB Zweckoptimismus

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Sir Tim Clark bleibt Optimist. »Ich weiß, dass die Menschen wieder reisen und zum Beispiel nach Thailand in den Urlaub wollen«, sagte der britische Chef der Fluggesellschaft Emirates aus Dubai anlässlich der Reisemesse ITB. Die Messe findet noch bis Freitag virtuell statt. Diese Zuversicht lehren den 70-jährigen seine Erfahrungen mit früheren Rückschlägen, wie nach dem 11. September 2001 oder der Finanzkrise. Danach konnten Unternehmen ihr Wachstum sogar beschleunigen.

Die aktuelle Krise ist allerdings tiefer und dauert länger. Dies zeigte bereits der erste Tag der Internationalen Tourismus-Börse ITB, die normalerweise in Berlin stattfindet. Die Umsätze sanken im Corona-Jahr 2020 um 57 Prozent auf unter eine Billion Euro, sagte Caroline Bremner während der Auftaktpressekonferenz am Dienstag. Bremner leitet die Marktforschung von Euromonitor International in London. Damit ist die »Industrie«, wie sie sich im Branchenjargon nennt, allerdings immer noch einer der größten Wirtschaftszweige überhaupt.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Auch die deutsche Reisewirtschaft blickt auf einen noch nie dagewesenen Einbruch. Besonders drastisch sanken die Ausgaben im »organisierten« Markt: Veranstalter verbuchten für Pauschal- und Bausteinangebote ein Minus von 65 Prozent auf 23 Milliarden Euro. »Damit fällt der Umsatz auf ein Niveau von vor über 30 Jahren zurück«, klagte der Präsident des Deutschen Reiseverbandes (DRV), Norbert Fiebig.

Dagegen war der Rückgang bei von Kunden selbst organisierten Reisen deutlich geringer. Deren Umsatz sank um 43 Prozent auf 19,5 Milliarden Euro. Vermietern und Gastronomen half hierbei, dass in den Sommermonaten ohne Lockdown viele Menschen innerhalb Deutschlands verreisten. Dabei besuchten die Reisenden, wie eine Umfrage des Hamburger Statistik-Portals Statista ergab, vor allem Verwandte und Freunde.

Ohnehin traf Corona die Branche nicht überall gleich hart. Zu den schlimmsten Verlierern zählen viele freiberufliche Animateure oder Stadtführer, aber auch die etwa zehntausend privaten Reisebüros in Deutschland. Corona dürfte zudem das schon seit längerem anhaltende Sterben von Gasthäusern und kleinen privaten Hotels beflügeln, vor allem außerhalb der touristischen Hochburgen. Verbände wie der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband Dehoga beklagen, dass die Überbrückungshilfen von Bund und Ländern nicht ausreichten, um die Löcher zu stopfen, die die Coronakrise reißt. Auf der ITB war sogar von »strukturellen Webfehlern« der staatlichen Hilfsprogramme die Rede. Das ist eine Kritik an der Bundesregierung, die in den vergangenen Wochen auch aus anderen Branchen zu hören war.

Während die einen unfreiwillig »Zero Covid« praktizierten, flogen die anderen. So profitierten Fluggesellschaften immens vom Boom im Frachtverkehr, vor allem aus China und in Asien. Außerdem gewährten viele Länder ihren Fluggesellschaften milliardenschwere Hilfen. In Deutschland nutzte dies Lufthansa und Condor.

Auch TUI erhielt von der Bundesregierung milliardenschwere Finanzspritzen. Der weltgrößte Reisekonzern plant seinen Mallorca-Start nun zu Ostern. Seit Mitte Februar sieht der DRV insgesamt Anzeichen für ein Anziehen der Buchungen. Die Griechischen Inseln liegen derzeit bei der Nachfrage an der Spitze. »Mit der Aussicht auf Impfungen und mehr Möglichkeiten für Tests steigt auch die Zuversicht, bald wieder verreisen zu können«, so Fiebig. Der DRV-Chef erwartet zudem einen Nachholeffekt, da viele Verbraucher im vergangenen Jahr keinen Urlaub machten. Doch auch 2021 werde die deutsche Reisewirtschaft unterm Strich »von Verlusten geprägt sein«.

Seit Jahrzehnten gehört die Reisebranche zu den am stärksten wachsenden Wirtschaftszweigen. Global rechnet die Branche damit, dass - je nach Sichtweise schon oder erst - in drei bis fünf Jahren das hohe Niveau von 2019 wieder erreicht sein wird. Langfristig, auch dies offenbarte der virtuelle Messerundgang, wollen wohl nur wenige Menschen weniger in ferne Länder reisen. Der Optimismus von Sir Clark traf also auf einen Zweckoptimismus, der die gesamte Industrie zu durchziehen scheint.

Für Urlaubs-Puristen und Umweltaktivisten gibt es also wenig Hoffnung. Wenigstens nimmt die Nachfrage nach nachhaltigen Reisezielen langsam zu. Schweden erhielt hier den ersten Preis als Reiseziel. Die ITB findet seit 1966 in (West-)Berlin statt und sieht sich heute als Leitmesse der weltweiten Tourismusbranche. Länder, Städte und Regionen, Reiseveranstalter, Buchungsportale und Hotels sowie viele Dienstleister aus über 100 Ländern präsentieren dieses Jahr erstmals nur im Internet ihre Angebote.

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