Plädoyers für mehr Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit

Thomas Hartmann, Jochen Dahm und Christian Krell bieten prominente Diskussionsbeiträge zu Chancen in der Coronakrise

  • Franziska Klein
  • Lesedauer: 4 Min.

Zur Corona-Pandemie erschienen die ersten Bücher im Sommer vergangenen Jahres; die Wiener Editionshäuser Promedia und Passagen gehörten zu den ersten Verlagen, die das Thema aufgriffen. Jetzt stößt J. H. W. Dietz hinzu. Der in Bonn ansässige Verlag präsentiert dazu gar eine ganze Publikationsreihe, gedacht als Diskussionsbeiträge in Zeiten, da Veranstaltungen live nur digital möglich sind.

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Thomas Hartmann/Jochen Dahm/Christian Krell (Hg): Thomas Piketty. Pandemie und Ungleichheit. Ein Gespräch über die Ideologie des Kapitals.
J. H. W. Dietz, 72 S., geb., 10 €. •

Umso verdienstvoller diese Gesprächsangebote in Printform, die dieser Tage erschienen sind beziehungsweise in den nächsten Wochen sukzessive erscheinen. Unter dem übergreifenden Titel »Rausgeblickt« legen Wissenschaftler, Politiker und prominente Vertreter der Zivilgesellschaft ihre Gedanken und Erkenntnisse dar: über die Auswirkungen der Pandemie auf den Zustand unserer Demokratie, die Gesellschaft und die Wirtschaft und dazu, wie diese künftig gerechter und solidarischer gestaltet werden können. Die Krise wird von allen auch als eine Chance begriffen, wider die Menetekel und Fake News von Verschwörungsmystikern.

Zu Wort kommt in der anspruchsvollen, gediegenen Interviewreihe unter anderem der französische Starökonom Thomas Piketty (»Pandemie und Ungleichheit«). Er reflektiert, wie man Güter und Vermögen so verteilen kann, dass die Demokratie nicht zerstört wird, weder von deren eingefleischten Feinden im rechten Lager noch von egoistischen Kapitalinteressen. Sein US-amerikanischer Kollege und Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz (»Pandemie und Markt«) skizziert neue Leitplanken für eine gerechtere Weltwirtschaft, die für ihn nur eine »grüne« sein kann und sich durch faire Kooperation global auszeichnen muss.

Die deutsche Journalistin und Feministin Teresa Bücker (»Pandemie und Geschlechter«) beklagt, dass Corona vor allem die Frauen trifft: Längst überwunden geglaubte Geschlechterrollen kehren zurück, über Jahrzehnte erkämpfte Gleichberechtigung scheint wieder rückläufig. Was bedeutet dies für die Zukunft? Wie Covid-19 bisherige Selbstverständlichkeiten außer Kraft setzte, eine Einschränkung politischer Freiheiten erzwang, ist das Thema des Kultursoziologen Andreas Reckwitz (»Pandemie und Staat«). Er sieht eine Renaissance des Staates, die er nicht pauschal negativ bewertet. Denn: Bestimmte Formen öffentlicher Regulierung sind gut und nötig.

Die Philosophin Lisa Herzog (»Pandemie und Arbeit«) vertieft die Debatte mit Blick auf die Veränderungen in der Erwerbswelt. Manche profitieren durchaus von der neuen Flexibilität des Homeoffice, vor allem die in vieler Hinsicht Kosten sparenden »Arbeitgeber«. Sie zeigt zugleich die psychologischen Belastungsgrenzen auf und formuliert konkrete Vorschläge für eine demokratischere und gesündere Arbeitswelt sowie mehr Nachhaltigkeit: Es gibt Online-Formate anstelle von analogen Konferenzen, zu denen man sonst per Auto angereist wäre. Das spart Sprit und Reisekosten. Zudem habe sie den Eindruck, dass mit dieser Form des Austauschs im World Wide Web auch Menschen im Globalen Süden stärker eingebunden werden könnten.

Ähnliche Überzeugungen vertritt Maja Göpel (»Pandemie und Klima«). Sie sieht eine Chance in der Krise hin zu einem bewussteren, nachhaltigeren Leben und Arbeiten. Für die Klima- und Transformationsforscherin steht fest, dass Pandemien - gestern, heute und (hoffentlich nicht) künftig - eine direkte Folge des Klimawandels sind, der vom Menschen verursachten Naturzerstörung und des transnationalen Kampfes um Ressourcen.

Die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan (»Pandemie und Solidarität«) wiederum mahnt einen Brückenschlag zwischen den diversen gesellschaftlichen Gruppen an, der auch nach Überwindung der Pandemie erhalten und weiter ausgebaut werden sollte. Gleich ihr erkennt der Soziologe Heinz Bude (»Pandemie und Gesellschaft«) in der Krise neues Potenzial für eine solidarischere Gesellschaft. Wie Reckwitz würdigt er die wachsende Verantwortung des Menschenleben schützenden Staates.

Die von der Friedrich-Ebert-Stiftung initiierte Gesprächsreihe bietet Anregungen in Hülle und Fülle für weitere Debatten. Damit liegt ein beachtliches, faktengesättigtes und meinungsstarkes Kompendium vor, das über strukturelle Probleme kenntnisreich und sachlich informiert. Es legt gesellschaftliche Missstände offen, Schwachstellen etwa im Gesundheits- und Bildungswesen, und verweist auf notwendige Maßnahmen, beispielsweise stärkere staatliche Regulierungen in bestimmten Bereichen, ohne deshalb in den Ruf nach dem »starken Staat« einzustimmen oder mehr Liberalisierung im Sinne von ungezügeltem Walten der Marktkräfte zu fordern.

Unisono wird mehr gesellschaftlicher Zusammenhalt angemahnt. Gewürdigt werden die mit Beginn der Pandemie entstandenen neuen Formen gelebter Solidarität, gesellschaftlichen Engagements im Großen wie im Kleinen, etwa in der Nachbarschaftshilfe. Die Autorinnen und Autoren hoffen auf einschneidende Veränderungen auch in den internationalen Beziehungen, die der gesamten Menschheit zugutekommen und die Kluft zwischen Nord und Süd, Arm und Reich, Jung und Alt, Mann und Frau zu überwinden helfen. In der Tat, hier ist der Blick nach vorn, in eine bessere Zukunft gerichtet.

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