Im Verkehr bewegt sich nichts

Ohne die Coronakrise hätte die Bundesregierung ihre eigenen Klimaziele verfehlt

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 4 Min.

Trotz eines massiven Corona-Effekts hat Deutschland sein Klimaziel für 2020 nur knapp erreicht. Bisher waren die Schätzungen von einer Reduktion des CO2-Ausstoßes um etwa 42 Prozent ausgegangen - bezogen aufs Basisjahr 1990. Tatsächlich sanken die deutschen Emissionen laut der heute von der Bundesregierung vorgelegten Klimabilanz bis Ende 2020 um 40,8 Prozent auf insgesamt 739 Millionen Tonnen. Gegenüber 2019 ist das ein Rückgang um rund 70 Millionen Tonnen. Ein Drittel davon sei auf die Corona-Effekte zurückzuführen, räumte der Chef des Umweltbundesamtes (UBA), Dirk Messner, am Dienstag bei der Vorstellung der Klimabilanz der Regierung in Berlin ein. »Ohne die Corona-Lockdowns mit den Einschränkungen bei Produktion und Mobilität hätte Deutschland sein Klimaziel für 2020 verfehlt.« Grob gerechnet wäre die Bundesrepublik bei 39 Prozent herausgekommen.

Im Verkehr machen sich dabei die Corona-Effekte besonders stark bemerkbar, wie Messner betonte. Dort sind die Emissionen im Vergleich zu 2019 um mehr als elf Prozent zurückgegangen. Ursache sei vor allem der geringere Pkw-Verkehr auf längeren Strecken, so der UBA-Chef. Die Menschen seien in der Pandemie in den Städten geblieben. Auch im Lkw-Verkehr seien die Emissionen um zehn Prozent gesunken. Eine Million Tonnen CO2 wurden »dank« Corona zudem im inländischen Flugverkehr eingespart. Hinzu kamen der beginnende Ausbau der Elektromobilität sowie der Einsatz von Biokraftstoffen. Allerdings gingen auf diese beiden Faktoren nur zwei Millionen der insgesamt im Verkehr eingesparten 19 Millionen Tonnen zurück.

Die Pandemie-Effekte bedeuten für Messner, dass die Emissionen steigen werden, wenn die Wirtschaft wieder anspringt. »Das gilt besonders für den Verkehrssektor, der sich nicht auf den vergleichsweise guten Zahlen ausruhen kann«, erklärte der UBA-Chef. Hier werde ein Großteil der Corona-Effekte verschwinden. Dadurch sei der Handlungsdruck besonders groß. Auch wenn der Verkehr damit das »Sorgenkind« des deutschen Klimaschutzes bleibt - formal muss Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) erst einmal nichts tun.

Nur der Gebäudebereich hielt 2020 sein im Klimagesetz vorgegebenes Budget nicht ein. Er emittierte etwa 120 Millionen Tonnen CO2 und damit zwei Millionen mehr als das vorgesehene Budget.

Hier greift nun der im Gesetz vorgezeichnete Steuerungsmechanismus: Bis Mitte April wird der sogenannte Klimarat die Gründe für die Nichterfüllung analysieren, und die zuständigen Ressorts Bauen sowie Wirtschaft müssen in den folgenden drei Monaten ein Sofortprogramm auf den Weg bringen. Dass der Verkehr ungeschoren davonkommt und nur der Gebäudebereich »liefern« muss, zeigt für die Bundestagsabgeordnete Lisa Badum von den Grünen, dass das Klimagesetz der großen Koalition ein »zahnloser Papiertiger« ist. Das müsse sich dringend ändern, fordert Badum. Zunächst sei das deutsche Klimaziel an das kommende höhere EU-Ziel für 2030 anzupassen: minus 55 Prozent CO2-Ausstoß.

Zwar hat Deutschland bereits eine Reduktion um 55 Prozent bis 2030 beschlossen, allerdings im Rahmen des bisher geltenden schwächeren EU-Ziels. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) erklärte am Dienstag daher, Deutschland werde sich eher einem Reduktionsziel von 65 Prozent stellen müssen. Wie das konkret zu erreichen sei - durch eigene oder durch Maßnahmen auf EU-Ebene -, müsse noch mit der EU-Kommission ausgehandelt werden.

Für Lorenz Gösta Beutin von der Linksfraktion im Bundestag ist die vorgelegte Klimabilanz durch die Pandemie geschönt. Europaweit liege Deutschland beim Ausbau erneuerbarer Energien nur im Mittelfeld, kritisierte er und griff Bundeswirtschafts- und -energieminister Peter Altmaier (CDU) scharf an: »Momentan schafft Herr Altmaier es noch nicht einmal, die selbst gesteckten Ziele bei Wind und Photovoltaik in den eigenen Reihen durchzusetzen, geschweige denn, ein ambitionierteres Klimaziel auf EU-Ebene von mindestens minus 55 Prozent bis 2030 auch nur annähernd zu erfüllen.«

Zwar räumte auch Umweltministerin Schulze ein, dass »Katastrophen und Wirtschaftskrisen keine geordnete Klimapolitik ersetzen«. Dennoch wertete sie die Bilanz in weiten Teilen als klimapolitischen Erfolg der Bundesregierung. Die Zahlen zeigten auch »strukturelle Veränderungen« an, die nach der Pandemie weiter wirken würden. Tatsächlich gibt es diese aber nur in der Energiewirtschaft mit dem Kohleausstieg und den steigenden Preisen im EU-Emissionshandel. Schulze fand es in dem Zusammenhang übrigens »unglaublich«, wie lange Deutschland das Thema Kohleausstieg verdrängt habe. Es sei ein »Verdienst« der Großen Koalition, den Ausstieg gesetzlich festgeschrieben zu haben - wobei sie den Kampf der Klimabewegung außen vor ließ.

Für die Umweltministerin ist das Enddatum des Kohleausstiegs - 2038 - allerdings auch nicht mehr gesetzt. Die letzten Kraftwerke würden dank des Emissionshandels »deutlich früher« abgeschaltet werden, sagte sie. Auch an diesem Effekt haben die Regierung und die deutsche Gesetzgebung so gut wie keinen Anteil.

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