Moderne Sklaverei in Corona-Zeiten

Seit Wochen streikt ein Teil der Belegschaft des Textilunternehmens Texprint im toskanischen Prato

  • Wolf H. Wagner, Florenz
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit Langem heißt es in der Toskana: Mode wird in Florenz gemacht, aber in Prato genäht. Die schicken Modelle, die in der Metropole am Arno entworfen wurden, verwandelten die Hände vieler fleißiger italienischer Familien in Kleider und Anzüge. Doch mit der Textilkrise wurde die Produktion – wie in vielen anderen Industriebereichen auch – nach Asien ausgelagert. Seit der Jahrtausendwende hat sich das Bild erneut geändert – in Prato wird wieder genäht, doch diesmal nicht von italienischen Schneidereien, sondern von chinesischen, teilweise auch illegalen. Die meisten von ihnen beschäftigen Landsleute als Arbeitskräfte, etliche auch Bengalen und Pakistani. So auch die Textildruckerei Texprint. Der chinesische Eigentümer Aichun Zhang lässt seine bengalischen und pakistanischen Arbeitskräfte sieben Tage die Woche zwölf Stunden lang schuften. Unwürdige Unterkünfte, Arbeits- und Lohnbedingungen begleiten diese moderne Sklaverei.

Dagegen wehrt sich seit Wochen ein Teil der Belegschaft. Mit dem Slogan »Nicht länger Sklaven – wir wollen ein besseres Leben« trat etwa die Hälfte der Arbeiter in einen unbefristeten Ausstand. Täglich demonstrierten sie vor den Eingangstoren zur Firma, sperrten zeitweise die Zufahrt und blockierten damit die Anlieferung von Rohtextilien und die Auslieferung der Produkte. Konfrontationen gab es dabei nicht nur mit der Unternehmensführung, sondern auch mit streikunwilligen Arbeitern, die sich aus Angst um ihre Jobs dem Ausstand nicht anschlossen.

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Die Bedingungen, unter denen die Arbeiter bei Texprint – und nicht nur hier – leiden, sind nach italienischen Gesetzen illegal. Eigentlich müssten die Behörden gegen die Machenschaften des Unternehmens vorgehen und die ungesetzlichen Arbeitszeiten unterbinden. Umso schockierender wirkten Bilder aus den vergangenen Teilen: Um eine Auslieferung ihrer Produkte zu erzwingen, rief die Unternehmensleitung die örtliche Polizei vor die Werkstore. Videos, die in lokalen Medien veröffentlicht wurden, zeigen, mit welch brutalen Methoden die Polizisten versuchten, die Streikenden vor den Werkstoren in der Via Sabadell zu vertreiben. Zwei Arbeiter mussten medizinisch behandelt werden, einer von ihnen wurde von einem Polizisten bewusstlos geschlagen.

Bei einem weiteren Zwischenfall fuhr ein werkseigener Lieferwagen in die Gruppe der Streikposten und verletzte auch hier zwei Menschen. Allerdings entschuldigte sich der albanische Fahrer des Wagens später bei den Arbeitern. Es sei ein »Versehen« beim Rangieren seines Wagens gewesen. Dazu erklärte er etwas abstrus, er hätte gedacht, dass es sich bei der Menschengruppe um »Zigeuner« handele.

An der Seite der Streikenden steht die kleine Basisgewerkschaft Si Cobas, die vor allem spezielle Berufsgruppen vertritt. Mit Appellen wandte die sich an die Stadtverwaltung, die Provinz Prato sowie an den Gouverneur der Toscana, Eugenio Giani, mit der dringenden Aufforderung, die menschenunwürdigen Zustände in Parto – nicht nur bei Texprint – zu beenden. Für die kommenden Tage sind trotz der erheblichen Coronaeinschränkungen mehrere Solidaritätsveranstaltungen in Prato sowie im benachbarten Florenz geplant.

Bereits Gianis Vorgänger, Enrico Rossi, hatte mehrfach erklärt, Prato sei ein aktuelles Beispiel »moderner und menschenunwürdiger Sklaverei«. Mit der Covid-19-Pandemie hat sich die Lage in der Textilstadt nochmals deutlich verschärft. Wegen der strengen Corona-Maßnahmen, vor allem den Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, gibt es noch weniger Kontrollen in den Betrieben der Stadt.

In den zwei vergangenen Jahrzehnten hat sich die Wirtschaftsstruktur Pratos deutlich verändert. 4500 italienische Textilunternehmen – zumeist kleine Familienbetriebe – mussten Konkurs anmelden, etwa 20 000 Italiener zogen aus der Stadt weg. Im Gegenzug meldeten sich 3700 chinesische Betriebe in Prato an. Nach offiziellen Zahlen leben etwa 25 000 Chinesen in der Stadt, doch die Sicherheitsbehörden gehen von weiteren mehreren Zehntausend aus. Viele von ihnen wohnen auf Zwischendecken, die in Scheunen über den Arbeitsplätzen eingezogen wurden.

Als in einer dieser Wohn- und Arbeitsunterkünfte am 1. Dezember 2013 ein Feuer ausbrach, starben sieben Arbeiterinnen, zwei Menschen wurden schwer verletzt. Dies trug sich nur einen Kilometer entfernt vom Standort der Texprint zu, in einem Areal, das übersät ist mit kleinen, zum Teil illegalen Nähereien. Dass dies überhaupt geduldet wird, hat auch damit zu tun, dass die großen Modelabels wie Prada, Gucci, Ferragamo und andere in Prato nähen lassen.

Nicht nur mit den jetzigen Streikaktivitäten geriet Texprint in die Schlagzeilen. Die Antimafiabehörde von Mailand ermittelt gegen Sang Yu Zhang, einen leitenden Firmenangestellten, wegen Verbindung zur ´Ndrangheta und illegalen Geschäften im Zusammenhang mit der Coronakrise. Der konkrete Vorwurf betrifft das Kassieren von 340 000 Euro aus öffentlichen Mitteln, um Mund-Nase-Schutzmasken zu produzieren – eine Produktionslinie, für die das Unternehmen überhaupt nicht ausgelegt ist. Vermerke, die durch die Ermittlungen der Antimafiabehörde an die Öffentlichkeit gelangten, belegen die engen Verbindungen zwischen kalabresischer ´Ndrangheta und chinesischen Triaden, die in dem undurchsichtigen Menschendschungel Pratos ihren Aktivitäten nachgehen.

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