Kein Zuhause, keine Impfung, keine Hilfe

Die Impfung von Obdachlosen wurde ausgesetzt, Räumungen finden weiter statt

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 3 Min.

»Jetzt bin ich wieder auf der Straße und suche nach einem Ort, wo ich selbstbestimmt leben kann«, sagt Matze. Der Obdachlose hat sich nach der Räumung seiner Unterkunft in einem leerstehenden Gebäude am Pyramidenring in Marzahn am vergangenen Sonntag an die Berliner Obdachlosenhilfe gewandt. »Die Häuser, in denen wir gewohnt haben, stehen wieder leer. Irgendwann werden sie abgerissen, Wohnraum für alle entsteht dort keiner«, so Matze weiter.

Laut Obdachlosenhilfe wurden in den vergangenen Tagen mehrere Unterkünfte obdachloser Menschen ohne Vorankündigung geräumt, außer in Marzahn auch ein Zeltlager an der Schillingbrücke in Mitte. »Wir sind schockiert darüber, dass erneut das gesamte Hab und Gut der Bewohner*innen zerstört wurde und dass entgegen diverser Zusagen keine Sozialarbeiter*innen vor Ort waren«, kritisiert der Sprecher des Vereins, Niclas Beiersdorf. Matze und die anderen fünf Obdachlosen, die sich in dem leerstehenden Gebäude in Marzahn aufgehalten hatten, seien von der Polizei überrumpelt worden. »Sie konnten mitnehmen, was sie tragen konnten, und dann haben sie eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs bekommen«, berichtet Frieder Krauß von der Obdachlosenhilfe dem »nd«.

Im Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf weiß man von der Aktion nichts. »Sowohl das Ordnungs- als auch das Sozialamt hatten keine Kenntnis von dem Vorgang«, sagt Sprecher Frank Petersen zu »nd«. »Gerade bei dem Wetter und in der derzeitigen Pandemielage wäre es wünschenswert gewesen, dass wir informiert werden, damit wir Sozialarbeiter schicken und Hilfe anbieten können.« Wenn der Eigentümer wegen Hausfriedensbruchs die Polizei rufe und diese das Ordnungsamt nicht informiere, könne der Bezirk den obdachlosen Menschen keine Hilfs- oder Unterbringungsangebote machen.

In Mitte sei das Campen von Obdachlosen an der Schillingbrücke über mehrere Wochen geduldet worden, Straßensozialarbeiter hätten Kontakt zu den Betroffenen aufgenommen und ihnen Hilfeangebote gemacht, so Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) zu »nd«. »Das hat in mehreren Fällen auch geklappt und die Menschen haben jetzt zumindest ein Dach über dem Kopf.« Aktuell werde die Grünanlage jedoch umgestaltet, »sodass die Duldung nicht weiter aufrecht erhalten werden konnte, die Betroffenen wurden vorab informiert, haben dort aber leider Teile ihrer Habseligkeiten und auch einiges an Müll zurückgelassen«, so der Bezirksbürgermeister, der wegen Räumungen von Obdachlosencamps immer wieder in der Kritik steht.

Die Obdachlosenhilfe kritisiert die Räumungen in der dritten Corona-Welle. Bei drei der geräumten Obdachlosen aus Marzahn sei unklar, wo sie sich nun aufhalten, die anderen drei lebten wieder auf der Straße. »Es geht gar nicht, Räumungen durchzuführen, während sich die Mutation des Coronavirus ausbreitet. Viele Obdachlose gehören zur Risikogruppe und sind dem Virus schutzlos ausgeliefert«, so Frieder Krauß. Sein Verein fordert daher, Räumungen auszusetzen, leerstehende Wohnungen zu beschlagnahmen und Obdachlosen zur Verfügung zu stellen.

Eigentlich sollte in dieser Woche an der Storkower Straße die erste Berliner Impfeinrichtung für obdachlose Menschen mit ihrer Arbeit beginnen. Dies wurde aufgrund des Impfstopps für Astra-Zeneca vorerst ausgesetzt. Während Polizist*innen in der Zeit des Impfstopps mit anderen Vakzinen geimpft wurden, gibt es dieses Angebot für Obdachlose nicht. »Wir haben das Gefühl, dass Obdachlose in der Prioritätenliste ganz weit hinten stehen«, kritisiert Krauß und fordert, auch Obdachlosen schnell Impfstoff zur Verfügung zu stellen.

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