Aufstand der Amateure

College-Sportler in den USA wollen endlich am Milliardenspektakel mitverdienen

Isaiah Livers hat erneut ganz hinten Platz genommen, auf der letzten von vier Reihen der in Corona-Zeiten weiträumigen Auswechselbank der Michigan Wolverines. Seine Kameraden des Basketballteams der Michigan University spielen gerade um den Einzug ins Achtelfinale der US-College-Meisterschaft. Livers war drei Jahre lang ein zentraler Spieler der Mannschaft, ist beim 86:78-Sieg gegen die Louisiana State Tigers aber zum Zuschauen verdammt. Sein Fuß ist verletzt, also trägt er kein gelbes Trikot. Stattdessen hat er sich auch an diesem zweiten Turniertag ein schwarzes T-Shirt übergeworfen und zieht damit dann doch ein paar mehr Blicke und Kameraobjektive auf sich, als es für einen verletzten Bankdrücker üblich wäre. Denn mit der Aufschrift notncaaproperty protestiert Livers gegen eine jahrelange Ungerechtigkeit im Universitätssport der USA.

Das von der National Collegiate Athletic Association organisierte Finalturnier »March Madness« bringt der NCAA jedes Jahr eine gute Milliarde Euro allein an Einnahmen aus Fernsehverträgen und Ticketeinnahmen ein. Dazu kommen noch millionenschwere Werbedeals. Das meiste Geld wird unter den Universitäten verteilt, die davon Stipendien und allerlei andere Dinge bezahlen, die für ein professionelles Sportprogramm nötig sind. Die besten Trainer verdienen im Jahr bis zu 8 Millionen US-Dollar. Der Coach von Livers, Juan Howard, bringt es immerhin auf 2,5 Millionen. Das System macht viele Menschen reich. Nur nicht jene, die für die tollen Bilder und spannenden Spiele sorgen: die Athleten selbst. 460 000 Athleten, verteilt auf 24 Sportarten dürfen keinen Cent verdienen, denn offiziell sind sie nur Studenten, also Amateure.

An diesem Ideal hält die NCAA seit Jahrzehnten fest, sie gibt den Wahrer des Amateursports, der junge Athleten vor den Auswüchsen der Kommerzialisierung schützt. Dabei schützt sie nur selbst ihre Einnahmen. Doch viele Sportler um Livers wollen das nicht mehr hinnehmen und protestieren dafür, zumindest die Rechte am eigenen Bild verkaufen zu dürfen. Sie seien schließlich kein Eigentum der NCAA: »not NCAA property«. Livers weiß, dass die March Madness der perfekte Zeitpunkt für den Protest darstellt. Er bekommt Aufmerksamkeit, und der Dachverband kann sich noch einen Streit mit Athleten nicht leisten. Die NCAA war letzte Woche bereits in die Kritik geraten, als Spielerinnen öffentlich machten, dass die Männer für ihr Finalturnier riesige, voll ausgestattete Krafträume gestellt bekamen, die Frauen aber nur einen einzigen Hantelständer.

Die meisten Athleten in den lukrativen Sportarten Football und Basketball kommen aus armen Milieus, sehen im Profisport den einzigen Weg, aus ihrem Leben etwas zu machen. Doch nur etwas mehr als fünf Prozent schaffen es in die NFL oder die NBA. Ihr durch Stipendien kostenloses Studium ist auch nicht viel wert: Vier Jahre lang trainieren sie mehr als sie lernen - bis zu 50 Stunden in der Woche. Wer sich weigert, verliert Stipendium und Studienplatz. Seminare und Examen fallen oft für Training oder Auswärtsfahrten aus. Die Quote von Abbrechern ohne Abschluss ist unter Sportlern 17 Prozent höher als normal.

Nach Jahren des Protests schien es so,als würde die NCAA endlich nachgeben. Die Abstimmung über einen Vorschlag, nachdem College-Sportler erstmals Geld mit Rechten an ihren Namen und Bildern hätten verdienen dürfen, wurde im Januar allerdings im Präsidium verschoben. Es herrsche zu viel Ungewissheit, hieß es zur Begründung, da der Oberste Gerichtshof gerade verhandelt, ob die NCAA Regeln für alle Universitäten festlegen darf oder damit gegen Kartellrecht verstößt. Außerdem haben mehrere Bundesstaaten, darunter mit Kalifornien der größte, zuletzt studentenfreundliche Gesetze erlassen, durch die die NCAA gezwungen wäre, Änderungen zuzulassen.

Zu allem Überfluss warnte im Januar das US-Justizministerium, dass auch der neue Vorschlag zu kurz greifen und damit weiterhin gegen geltendes Kartellrecht verstoßen würde. Denn die NCAA wollte eine neue Institution schaffen, die künftige Werbeverträge von College-Sportlern absegnen sollte. Der stellvertretende Generalstaatsanwalt Makan Delrahim schrieb dem NCAA-Präsidenten Mark Emmert daraufhin: »Die Kartellgesetze verlangen, dass Hochschulsportler wie alle anderen in unserer freien Marktwirtschaft angemessen vom Wettbewerb profitieren.« Eine Einmischung sei also illegitim.

Spätestens im Sommer, wenn der Oberste Gerichtshof geurteilt und der US-Kongress ein eigenes Gesetz verabschiedet hat, wird sich zeigen, ob der Protest von Isaiah Livers und seinen Mitstreitern Erfolg hatte. Für ihn selbst ist es dann schon zu spät. Seine Zeit an der Uni endet im Frühjahr. »Wir tun das nicht für uns, sondern für die Athleten der Zukunft«, sagte Livers jüngst der »New York Times«.

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