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  • Politik
  • Sturm auf den Triumphbogen

Kleine Fische in gelben Westen

In Frankreich hat ein Prozess wegen des Sturms des Triumphbogens begonnen

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

Der »Sturm auf den Triumphbogen« am 1. Dezember 2018, wo es zu Gewaltakten und Zerstörungen kam, für die seit Montag zehn Demonstranten in Paris vor Gericht stehen, war zweifellos ein Höhepunkt der Protestbewegung der Gelben Westen. An jenem Samstag hatten sich 5500 Demonstranten aus dem ganzen Land in Paris versammelt, doch während es an den Protestsamstagen seit Beginn der Bewegung Anfang September nur vereinzelt zu Gewaltakten gekommen war, spitzte sich die Lage diesmal schnell zu.

Die Polizeipräfektur hatte die Champs-Elysées als Demonstrationsmagistrale genehmigt, aber erst nach einer Körperkontrolle durch die Polizei. Doch die meisten Demonstranten verweigerten das, umgingen die Champs-Elysées über Nebenstraßen und sammelten sich - von der Polizei unerwartet - auf dem großen Etoile-Platz, in dessen Mitte der Triumphbogen steht. Hier kam es zu teilweise erbitterten Zusammenstößen zwischen gewaltbereiten Gelben Westen und den Ordnungskräften. Während das Grab des Unbekannten Soldaten unter dem Triumphbogen verschont blieb, beschmierten Protestierer die Pfeiler des Bauwerks mit regierungsfeindlichen Parolen, bis hin zu Morddrohungen gegen Präsident Emmanuel Macron. Slogans wie ACAB (All cops are bastards) oder Runenzeichen und keltische Kreuze wurden aufgesprüht, sowohl radikale linke als auch rechtsextreme Kräfte mischten mit. Allerdings bildeten sie nach Erkenntnis der Ordnungskräfte eine Minderheit in der Masse derer, die nach Paris gekommen waren, dem Inbegriff für Macht und Reichtum, um hier ihrer Wut über die Verschlechterung ihrer Lebensverhältnisse Luft zu machen.

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Eine Gruppe von Demonstranten sprengte mit einer Steinbank als Rammbock die gepanzerte Tür zum Innern des Triumphbogens auf und stürmte zum Ausstellungsraum unter der Gipfelplattform. Dabei zerschlugen sie wahllos Vitrinen und Figuren, zerstörten Bilder und plünderten die Souvenirboutique. Der Gesamtschaden wurde später auf etwa eine Million Euro geschätzt. Einige der Täter nahm die Polizei anschließend in unmittelbarer Nähe fest und überführte sie anhand der geplünderten Gegenstände. Andere wurden später nach Auswertung von Videoaufnahmen, Fotos, Fingerabdrücken und DNA-Proben identifiziert und verhaftet.

Doch die jetzt angeklagten acht Männer und zwei Frauen sind nach Einschätzung der Ermittler kleine Fische. Nur einer ist polizeibekannt und wegen Drogendelikten und Gewalt vorbestraft, ihm droht eine mehrjährige Haftstrafe. Die anderen dürften mit Geld- und Bewährungsstrafen davonkommen. Diejenigen, die ihnen den Weg gewiesen und die größten Zerstörungen angerichtet haben, wurden nie ermittelt.

Die Bilder der gewalttätigen Zusammenstöße, von den Bränden und den Tränengasschwaden, aber nicht zuletzt auch von der Flucht der zahlenmäßig unterlegenen Polizei vor den Demonstranten gingen um die Welt. »Paris in Flammen« titelten amerikanische Zeitungen. Der Fernsehsender RT (Russia Today), der als einziger von den Gelben Westen geduldet und nicht als »Lügensender« abqualifiziert wird, sendete fast über den ganzen Tag live von den Brennpunkten der Zusammenstöße. Diese Bilder wurden umgehend in der Propaganda gegen die »dekadenten und vor dem Zusammenbruch stehenden« westlichen Demokratien eingesetzt.

Es gab aber auch Fernsehbilder, die einen Demonstranten zeigten, der einen unter einem umgestürzten Gitter am Boden liegenden Polizisten aus seiner Notlage befreite und ihm zur Flucht verhalf. Insgesamt wurden an diesem Samstag von den etwa 5000 eingesetzten Polizisten und Gendarmen 10 000 Tränengasgranaten abgefeuert. Von gewaltbereiten Demonstranten wurden 112 Autos der Polizei oder von Anwohnern zerstört und angezündet, ebenso wie 130 Kioske und Wartehäuschen. Elf Geschäfte wurden gestürmt, geplündert und in Brand gesteckt. Es gab 133 Verletzte, davon 23 Polizisten, und gegen 378 der 412 verhafteten Demonstranten wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Auf den jetzt laufenden Prozess in Paris werden weitere folgen. Die Bewegung der Gelben Westen, die nach dem Dezember 2018 weiter lief, aber mit den Monaten an Schwung und Zulauf verloren hat, wurde vor einem Jahr wegen der Corona-Pandemie »ausgesetzt«. Doch sie ist ebenso wenig aus der Welt wie die vielfältigen wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Probleme, von denen sie ausgelöst wurde.

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