Frontalangriff auf die linke Opposition

Nach dem Verbot der HDP ist jetzt entscheidend, wie sich die anderen Oppositionsparteien und die Zivilgesellschaft in der Türkei verhalten werden

  • Ismail Küpeli
  • Lesedauer: 3 Min.

Die staatliche Repression gegen die linke türkische Oppositionspartei HDP nimmt weiter zu. Inzwischen beantragte die Generalstaatsanwaltschaft beim Verfassungsgericht der Türkei das Verbot der HDP. Zuvor wurde die Aufhebung der Immunität von 20 HDP-Abgeordneten beantragt und fast täglich werden Mitglieder und Anhänger*innen der HDP festgenommen.

Die Umstände, unter denen die Generalstaatsanwaltschaft den Antrag auf Parteiverbot bekannt gab, machten erneut deutlich, dass es sich um keinen rechtsstaatlichen Vorgang handelt. Es ist vielmehr eine politisch motivierte und von der Regierungsspitze angeordnete Maßnahme gegen die unliebsame linke Opposition. In den letzten Wochen führte die rechtsextreme MHP, de facto Koalitionspartner von Erdoğans Regierungspartei AKP, eine Hetzkampagne gegen die HDP und zielte dabei insbesondere auf deren Abgeordnete. Frei erfundene und völlig absurde Vorwürfe, wonach HDP-Politiker*innen Terrorist*innen oder Terrorunterstützer*innen seien, gingen durch die regierungsnahen Medien. Danach wurde die Aufhebung der Immunität von 20 HDP-Abgeordneten beantragt, um sie anschließend inhaftieren zu können. Gleichzeitig signalisierte die MHP, dass dies aus ihrer Sicht nicht reichen würde und forderte, dass die HDP gänzlich verboten werden müsse. Der Verbotsantrag der Generalstaatsanwaltschaft spiegelt diese Hetzkampagne und wirft der HDP neben Terrorismus und Terrorunterstützung auch eine unzureichende Unterstützung für die nationalen Interessen der Türkei vor – was leicht kryptisch formuliert bedeutet, dass sie die Politik der AKP-MHP-Herrschaft kritisiert und ablehnt.

Ismail Küpeli

Der Journalist Ismail Küpeli schreibt für »nd« regelmäßig über die Türkei. Zudem arbeitet zur Zeit an seiner Dissertation über die »Kurdenfrage« in der Türkei an der Universität Köln.

Diese neuerlichen Angriffe auf die HDP sind der vorläufige Höhepunkt einer jahrelangen Kampagne gegen die linke Oppositionspartei. Seit den Parlamentswahlen im Juni 2015, bei der die HDP 13 Prozent der Stimmen erhielt und die AKP ihre alleinige Regierungsmehrheit im Parlament verlor, steht die linke Oppositionspartei stärker im Visier staatlicher Repression. Die türkische Regierung versucht seitdem auf verschiedenen Wegen, die HDP zu schwächen und zu marginalisieren. So wurden im November 2016 zwölf HDP-Abgeordnete verhaftet, darunter die beiden Parteivorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ. Laut einer Zwischenbilanz der HDP von Dezember 2020 wurden seit den Parlamentswahlen im Juni 2015 insgesamt 16 490 HDP-Mitglieder, darunter Parteivorsitzende, Abgeordnete und Kreisvorsitzende, aber auch viele einfache Parteimitglieder, festgenommen und 3695 Mitglieder verhaftet. Beinahe täglich fanden Polizeirazzien und Festnahmen statt. Allein am 15. Februar 2021 wurden 718 HDP-Mitglieder und -Anhänger*innen festgenommen.

Neben diesen Masseninhaftierungen als Maßnahme gegen die Gesamtpartei finden weitere Repressionen statt, die auf die kommunalen Strukturen zielen. So wurden in den letzten Jahren verstärkt Co-Bürgermeister*innen der HDP abgesetzt und durch staatliche Zwangsverwalter ersetzt, die von der türkischen Regierung ernannt wurden. Dies betrifft 48 von 65 Kommunen, in denen die HDP die Kommunalwahlen gewonnen hatte und die Bürgermeister*innen stellte. Dabei wurden 72 Co-Bürgermeister*innen festgenommen und 39 von ihnen verhaftet.

Allerdings gelang es der türkischen Regierung trotz der massiven staatlichen Repression nicht, die HDP entscheidend zu schwächen oder gar zu zerschlagen. Auch wenn deren Stimmenanteile bei den späteren Wahlen etwas niedriger ausfielen als im Juni 2015, konnte sich die linke Oppositionspartei insbesondere in den kurdischen Gebieten der Türkei halten.

In dieser Situation wird es entscheidend sein, wie sich die anderen Oppositionsparteien und die Zivilgesellschaft in der Türkei verhalten werden. Bis jetzt hat es die türkische Regierung immer wieder geschafft, die türkische Opposition mithilfe des türkischen Nationalismus und einer Feindschaft gegenüber Kurd*innen auf ihre Seite zu ziehen. Aber solange es der türkischen Regierung gelingt, die HDP an den Rand zu drücken und von anderen Oppositionskräften zu isolieren, wird die gesamte Opposition nicht erfolgreich sein können.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal