Die Abwiegelung alter weißer Museumsmänner

Bénédicte Savoy beleuchtet die unbekannten Anfänge der kolonialen Raubkunst-Debatte

  • Georg Leisten
  • Lesedauer: 5 Min.

Kunstraub verjährt nicht. Das zu kapieren, hat Deutschland lange gebraucht. Unter dem Vorwand, der ethnologischen Forschung zu dienen, haben die Kolonialmächte im 19. und frühen 20. Jahrhundert Tausende Kulturgüter gewaltsam aus Afrika entwendet und in die neu entstandenen Völkerkundemuseen verfrachtet. Dort lagern die meisten Objekte bis heute.

Vor allem mit den Planungen zum mittlerweile (digital) eröffneten Berliner Humboldt-Forum rückte der Rechtsstatus der Werke vermehrt ins Bewusstsein. Hohe Wellen schlug dabei die Kritik der Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy. 2017 trat die gebürtige Französin demonstrativ aus dem Beirat des Forums aus. Sie warf der Stiftung Preußischer Kulturbesitz mangelnde Transparenz bei der Aufarbeitung kolonialen Unrechts vor. »An machen Objekten klebt Blut«, lautete damals eine ihrer kontrovers aufgenommenen Äußerungen. Nun legt Savoy nach. Ihre minutiös recherchierte Studie »Afrikas Kampf um seine Kunst« präsentiert viele überraschende Erkenntnisse und unterstreicht mit neuen Argumenten, was der Raubkunstexpertin seinerzeit so sauer aufgestoßen ist.

Auf den ersten Blick scheint die Diskussion über Afrikas gestohlenes Erbe jüngeren Datums. Tatsächlich existiert Provenienzforschung in diesem Bereich erst seit einigen Jahren. Ähnlich wie bei der schon länger betriebenen Suche nach den Kunstdiebstählen der Nazis ermitteln Wissenschaftler Beutegut aus ehemals kolonial besetzten Gebieten. Doch die Forderung der Beraubten nach Restitution ist älter als der Streit um die Exponate im Humboldt-Forum. Man kann Savoy gewiss vorwerfen, dass sie in der musealen Blase verharrt und die Debatte nur ungenügend mit anderen sozioökonomischen Konsequenzen kolonialer Ausbeutung in Beziehung setzt - ihr Verdienst, die vergessene Urgeschichte einer aktuellen Debatte aufgedeckt zu haben, schmälert das kaum.

Afrikas Kampf um Wiedergutmachung beginnt bereits in den 1960ern: Ein Land nach dem anderen hat sich die Unabhängigkeit vom imperialkapitalistischen Joch Europas ertrotzt. Mit der nationalen Freiheit wächst das Interesse, die eigene Geschichte zu erkunden. Auf dem Kontinent entstehen erste Museen. Zu zeigen haben sie - fast nichts. Das meiste ist in Europa. Den Urknall der Restitutionsdebatte datiert Savoy ins Jahr 1965. »Rendez-nous l’Art nègre«, titelt im Januar des Jahres das frankophone Magazin »Bingo« aus Dakar: »Gebt uns die Negerkunst zurück!« Auch wenn die Wortwahl heute befremdet, folgen dem Leitartikel bald diplomatische Schritte. Nigeria bittet um Dauerleihgaben aus europäischen Museen, konkret um einige Benin-Bronzen, auch aus West-Berlin. Aber dort befürchtet man einen Dammbruch. So teilt Hans-Georg Wormit, ein früherer Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, mit: »Jedes Nachgeben gegenüber zunächst noch ›moralisch‹ begründeten Forderungen der Entwicklungsländer würde nach meiner Überzeugung auch die Rechtsposition all der Museen schwächen, in deren Besitz sich Kunstwerke aus anderen Ursprungsländern befinden.«

Wormit glaubt, mit einem Hinweis, dass die Bronzen rechtmäßig im Londoner Kunsthandel erworben wurden, sei es getan. Die brutalen Umstände, unter denen die Briten sie an sich brachten, unterschlägt er und macht sich damit mindestens der moralischen Hehlerei schuldig. Quasi als Ablenkungsmanöver jammert das frühere NSDAP-Mitglied über eigene Kriegsverluste der West-Berliner Sammlungen. Damit sind die Leitplanken im Restitutionsdisput gesetzt: Ablehnen, Ausweichen, Verschweigen.

Savoy hat sich tief in die Archive eingegraben, Korrespondenzen, Presseartikel und Fernsehsendungen ausgewertet. Manche westliche Quelle zitiert sie mit unnötiger Ausführlichkeit. Was sie zutage fördert, wühlt auf. Denn die Argumente, mit denen die BRD Afrikas erste Anfragen abgeschmettert hat, sind einer Demokratie nicht würdig.

Fast alle ethnologischen Museen zogen die Zugbrücke hoch. Zu den Wortführern der Restitutionsgegner gehörte Friedrich Kußmaul vom Stuttgarter Lindenmuseum. Seine krude Legitimationsrhetorik verrät westliche Arroganz und die Kontinuität kolonialrassistischer Ideologie in der deutschen Kulturpolitik der 70er und 80er Jahre. Der Zentralasien-Spezialist war selbst noch nie in Afrika gewesen. Dennoch glaubte er, genau Bescheid zu wissen. Durch die Unabhängigkeit sei in »Kreisen afrikanischer Intelligenz ein manchmal übersteigertes Gefühl eigener Würde, Leistung, Tradition und Zusammengehörigkeit« entstanden. Soso. »Würde« war in Kußmauls Denke also etwas, von dem ein Afrikaner nicht zu viel verlangen durfte. Und wer seine Leistung überschätzt, hat offenbar auch die eigene Kultur nicht verdient. Während Europa »diese fremden Kulturen« wirksam erforsche und präsentiere, sei das Museumspersonal der Herkunftsländer »kaum genügend ausgebildet und leider in vielen Fällen der Korruption allzu zugänglich«.

Die Auseinandersetzung komplett zu unterdrücken, gelang den alten weißen Museumsmännern jedoch nicht. Savoy erinnert auch an die wenigen Aufrechten, etwa Herbert Ganslmayr, den früh verstorbenen Leiter des Bremer Übersee-Museums. Der Vertreter der 68er-Generation wollte verkrustete Strukturen der Ethnologie aufbrechen. Nachdem Ganslmayr jedoch der Politik die Restitution einer Benin-Maske aus seinen Beständen empfohlen hatte, wurde er auf Betreiben Kußmauls aus wichtigen Gremien herausgemobbt.

Wenngleich knapper, beleuchtet der Band auch die Haltung der DDR zum Thema. 1985 wurde die Nigeria-Schau des Pergamonmuseums von einem Archäologen aus Lagos mit betreut. Das setzte methodische Maßstäbe, die heute unter dem Label »Einbeziehung der Herkunftsgesellschaft« zum guten Ton der ethnologischen Kuratorenpraxis gehören. Zur Besitzfrage positionierte sich der Honecker-Staat dagegen zögerlicher. Zwar erkannte ein Papier des Kulturministeriums die »bürgerlichen Raubpraktiken« der Kolonialepoche an, zu Rückgaben jedoch kam es bis 1989 nicht. Vermutlich birgt die Institutionengeschichte der zuletzt oft umgetauften »Völkerkundemuseen« noch viel Unerledigtes und Verdrängtes aus der Vergangenheit, das auf dem kollektiven Unterbewusstsein lastet. Bezeichnenderweise war in einer alten ZDF-Talkshow zum Thema auch ein Psychoanalytiker eingeladen.

Bénédicte Savoy: Afrikas Kampf um seine Kunst. C. H. Beck, 256 S., geb., 24 €.

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