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  • Waffenverbotszone in Leipzig

Mit Küchenmesser in der Eisenbahnstraße

Oberverwaltungsgericht beschränkt Sachsens einzige Waffenverbotszone in Leipzig

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Schilder sind überholt. Mit vier Piktogrammen auf gelbem Grund wurde rund um die Eisenbahnstraße im Leipziger Osten auf eine Waffenverbotszone hingewiesen, die in dem Quartier im November 2018 eingerichtet wurde. Zu den Gegenständen, die mitzuführen seither verboten war, gehörten neben Pistolen auch Klappmesser, Baseballschläger und Pfefferspraydosen. Selbst Küchenmesser waren formal betroffen, was einem alteingesessenen Messerladen in der Straße Kopfzerbrechen bereitet hatte. Nach einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Bautzen sind drei der vier Signets nun hinfällig.

Das vom CDU-Politiker Roland Wöller geführte Innenministerium hatte die Waffenverbotszone per Verordnung eingeführt. Sie untersagt das Mitführen von Waffen, wie sie im Waffenrecht genannt sind, darunter Pistolen. Laut einer zweiten Verordnung waren auch gefährliche Gegenstände wie Äxte, Baseballschläger, Messer und Reizspray verboten. Diese Verordnung hat das Gericht nun auf Klage eines Anwohners für unwirksam erklärt. Die Beschränkungen hätten nur vom Landtag mit einem Gesetz verhängt werden dürfen, nicht aber vom Ministerium oder von der Stadt Leipzig, erklärte das Gericht.

Zur Erläuterung führten die Richter aus, ein entsprechendes Verbot setze eine »Gefahr im polizeirechtlichen Sinne« voraus. Sie bestehe bei »hinreichender Wahrscheinlichkeit«, dass etwa durch das Mitführen von Messern ein Schaden für Sicherheit und Ordnung, zum Beispiel durch Bedrohung oder Körperverletzung, »einzutreten pflegt«. Der Umstand, dass »Rohheitsdelikte« in dem Gebiet häufiger als in anderen Stadtteilen auftreten, reiche dafür nicht aus. Es handle sich allenfalls um eine »mögliche Gefahr oder einen Gefahrenverdacht«, denen zu begegnen ein Gesetz des Landtags erforderlich sei. Revision gegen das Urteil ist nicht zulässig.

Die Waffenverbotszone, die bereits Wöllers Vorgänger Markus Ulbig (CDU) 2017 ins Gespräch brachte, sorgt für viel Streit. CDU-Innenpolitiker stellen das Viertel als »Kriminalitätsschwerpunkt« dar und verweisen auf Statistiken, wonach es dort 600 Straftaten im Jahr gebe, darunter »zahlreiche Tötungs- und Körperverletzungsdelikte«. Ein TV-Magazin raunte einst, es sei die »gefährlichste Straße Deutschlands«. Als dort 2016 ein Mitglied der »Hells Angels« einen Konkurrenten erschoss, hagelte es reißerische Berichte. Öfter wird aber auch auf florierenden Drogenhandel durch ausländische »Clans« verwiesen. Ein Flyer zur Verbotszone erschien außer auf Deutsch in Arabisch und dem in Iran und Afghanistan gesprochenen Farsi.

Kritiker sehen die Verbotszone, die nicht zufällig zehn Monate vor der Landtagswahl in Sachsen eingerichtet wurde, weniger als geeignetes Instrument zur Bekämpfung von Kriminalität und eher als Mittel zur Stigmatisierung eines Stadtteils, der wie wenige andere im Freistaat von Migranten bewohnt ist. Man leiste »fatalerweise dem Vorurteil Vorschub, dass Migration und Kriminalität zusammenhängen«, sagte der Leipziger Grüne Jürgen Kasek im Stadtrat. Jule Nagel, Linksabgeordnete im Landtag, sieht die Zone als »Einfallstor für Racial Profiling« und nannte das OVG-Urteil eine »Klatsche« für den CDU-Minister sowie »Grund zur Freude für alle, denen Grundrechte wichtig sind.«

Das Ministerium will laut Nachrichtenagentur dpa das Urteil bei einer »Gesamtevaluation« der Waffenverbotszone berücksichtigen. Diese wäre ein Jahr nach Einrichtung fällig geworden, steht aber aus. Der Stadtrat hatte zuletzt ein Ultimatum bis 15. März gestellt. Danach sollte sich die Stadtverwaltung für eine Abschaffung einsetzen. Anfragen von Nagel hatten ergeben, dass bei 318 Kontrollen in der Zone binnen zwei Jahren 315 Gegenstände bei 4443 Kontrollierten sichergestellt wurden. Das, sagt Nagel. »hätte an jedem Ort, an dem die Polizei genauer hinschaut, vergleichbar sein können«.

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