Die Probleme mit dem Rücken

Das Hip-Hop-Geschäft wird roher

  • Ralf Fischer
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Rapper Mois hat als Webvideoproduzent knapp zwei Millionen Abonnenten. Er ist sehr erfolgreich, doch er hat nach eigenen Angaben das Land verlassen. Als Grund gab der 29-Jährige an, er sei entführt worden. Danach hätten er und seine Familie sich in Deutschland nicht mehr sicher gefühlt, weswegen sie nach Belgien umgezogen seien. »Das ist die dunkle Seite von diesem Hundesohn-Business, wenn man kein Schutzgeld abdrückt«, erläuterte der Rapper in einem Video.

Vor vier Jahren begann Zelemkhan Arsanov, wie Mois bürgerlich heißt, Videos zu produzieren, in denen er aktuelle Ereignisse innerhalb der Deutschrap-Szene kommentierte. Weil seine Urteile öfters negativ ausfielen, zogen sie den Unmut einer Reihe von Sprechgesangsinterpreten nach sich. »Ihr müsst euch vorstellen, egal, wenn ich einen Witz über einen Rapper gemacht habe« oder nicht, stets habe er es mit den Unterstützern der Künstler zu tun bekommen. Beim Austausch von Gemeinheiten soll es dabei nicht geblieben sein.

»Rapper, die aus dem Straßenrap-Genre kommen, wollen authentisch sein«, erklärte Jonathan Kalmanovich, auch bekannt als Rapper Ben Salomo, gegenüber Watson dieses Phänomen. Bekanntlich neigen vor allem Sprechgesangsinterpreten dazu, ihre musikalischen Kontrahenten zu beleidigen. Manche wollten auch wissen, »was dahintersteckt«. Durch solche Dynamiken kann es laut Kalmanovich zu Kontakten in das kriminelle Milieu kommen, »wenn dieser nicht aufgrund einer kleinkriminellen Vergangenheit schon vorher bestand«. Arsanov deutet in seinen Videos mehrere Schlägereien an, bei denen er dem »Rücken« der Rapper gegengestanden habe. Also denjenigen Leuten, die die Rapper beschützen und deren Dienstleistungen über Gebühr bezahlt werden. Dafür übernehmen sie alle nonverbalen Auseinandersetzungen zwischen den jeweils verfeindeten Musikern. Sie stehen zwar nicht auf der Bühne, sind aber die wahren Gangster im Business.

Die Entführung von Arsanov sei nun von von einem ehemaligen Freund eingefädelt worden, um von ihm mit vorgehaltener Waffe Geld zu erpressen. Das scheint in der Szene kein Einzelfall zu sein. So berichtete der Berliner Rapper Capital Bra, dass man von ihm eine halbe Million Euro verlangt hätte und er sogar mit dem Tod bedroht worden sei. Auch Kollegah gab an, dass Unbekannte versucht hätten, über eine Million Euro von ihm zu erpressen. Hier wird anscheinend nicht nur musikalisch ein Überbietungswettbewerb ausgetragen.

Als Rap in den 70er Jahren in den USA entstand, war es sein erklärtes Anliegen, die in den Vorstädten eskalierende Gewalt der Bandenkultur in eine neue Form der Auseinandersetzung zu transformieren. Anstatt das triste Leben zu einem Horrorfilm werden zu lassen, in dem man selbst mitspielen muss, sollten die rivalisierenden Gruppen ihre Streitigkeiten z.B. mittels Rap-, Breakdance- oder Graffiti-Battles austragen.

Dieses hehre Anliegen scheiterte auf allen Ebenen. Die Austreibung des Funk nicht nur aus dem musikalischen Kanon des Raps, eine weitgehende Fixierung auf das Warnetikett »Parental Advisory«, also auf anstößige Texte, und die unreflektierte Verherrlichung des »Pimps« (Zuhälter) führten auf direktem Weg zum sogenannten Gangsta-Rap. Was als musikalische Fiktion eines gewalttätigen Kleinkriminellen begann, ist längst Realität geworden. Ob es nun Zuhälter sind, die rappen, oder Rapper, die im Nebenjob der Zuhälterei nachgehen, kann man oft nicht mehr so genau auseinanderhalten - und soll es auch gar nicht.

Wenn beispielsweise die Rapperin Schwester Ewa wegen Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger verurteilt wird, fällt es jedem Kulturwissenschaftler schwer, zwischen der rappenden Kunstfigur und der Person Ewa Malanda zu unterscheiden. Auch beim Rapper Xatar stellt sich die Frage, ob die Promotion seines gesamten Lebens als krimineller Lifestyle nun seine Karriere fördert oder mit seiner Tätigkeit als Manager und Musiker im Widerspruch steht. Seine Fans lieben ihn, gerade weil er wegen schweren Raubes, gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung verurteilt wurde.

Auf seinem neu gegründetem Label Goldmann-Entertainment hat Xatar neue Musiker unter Vertrag. Darunter befindet sich auch Mois. Dessen Ankündigung, in Zukunft auf keine Provokation mehr zu reagieren und sich seiner Familie zu widmen, könnte also schon bald wieder Makulatur sein. Die mediale Vermarktung verschiedener Problemlagen ist lukrativ.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal