Ölmultis schrumpfen den Ölsektor

In den letzten zehn Jahren wurden 236 Milliarden Dollar zurückgezogen - zum Wohl der Aktionäre

  • Christian Mihatsch
  • Lesedauer: 3 Min.

Die sogenannte Divestment-Bewegung fordert von institutionellen Anlegern, ihre Beteiligungen an Firmen abzustoßen, die ihr Geld mit den fossilen Brennstoffen Kohle, Öl oder Gas verdienen. Dadurch sollen die Kapitalkosten für die Unternehmen nach oben getrieben werden - ein kapitalistischer Anreiz, sich aus klimaschädlichen Geschäften zurückzuziehen. Aktuell haben mehr als 1300 Großanleger versprochen, ihr Geld aus der Fossilindustrie zurückzuziehen. Diese Investoren verwalten immerhin 14,5 Billionen Dollar. Damit rückt ein »sozialer Kipppunkt« in Reichweite, denn die 500 größten Investmentfirmen verwalteten zuletzt rund 100 Billionen Dollar.

Die Sozialwissenschaftlerin Ilona Otto, die an der Universität Graz solche Kipppunkte erforscht, sagt: »Simulationen zeigen, dass, wenn etwa neun Prozent der Investoren desinvestieren, die anderen folgen, weil sie Angst haben, zurückgelassen zu werden und Geld zu verlieren.«

Erstaunlicherweise gehören die fünf wichtigsten Ölmultis mittlerweile selbst zu den großen Desinvestoren, wie eine aktuelle Studie des US-Thinktanks IEEFA zeigt. Die Autoren untersuchten, wie viel Geld der Verkauf von Öl und Gas in die Kassen spült und wie viel Geld die Ölmultis an ihre Aktionäre in Form von Dividenden und Aktienrückkäufen zurückgeben. Dabei zeigt sich seit Jahren ein klares Bild: Der »Free Cash Flow« (Gewinn plus Abschreibungen minus Investitionen) ist kleiner als die Ausschüttungen an die Aktionäre. Dabei geht es um große Summen: Exxon Mobil hat allein im vergangenen Jahr knapp 18 Milliarden Dollar mehr an die Anteilseigner verteilt als eingenommen. Ähnlich sieht es bei drei weiteren Ölmultis aus: Chevron (über 9 Milliarden), BP (gut 7 Milliarden) und Total (knapp 3 Milliarden). Einzig Shell hat sich nicht selbst geschrumpft, sondern acht Milliarden Dollar einbehalten.

Für diesen Trend ist nicht etwa die Coronakrise verantwortlich, wie die Experten schreiben. Diese hat zwar den Ölpreis von knapp 70 Dollar pro Barrel (159 Liter) auf gut 20 Dollar einbrechen lassen, aber die Praxis, mehr an die Aktionäre auszuschütten als einzunehmen, gab es schon zuvor: In acht der letzten zehn Jahre haben die großen Ölkonzerne aus sich heraus desinvestiert - insgesamt 236 Milliarden Dollar. Absoluter Spitzenreiter war erneut Exxon Mobil mit 87 Milliarden, am anderen Ende stand wiederum Shell mit einer Desinvestition von gut 9 Milliarden über zehn Jahre.

Finanziert wird das spendable Verhalten gegenüber den Aktionären durch den Verkauf von Beteiligungen und durch neue Schulden. »Großzügige Dividenden und Aktienrückkäufe geben den größten privaten Öl- und Gasfirmen der Welt den Anschein von erstklassiger finanzieller Performance«, erläutert Clark Williams-Derry, einer der Studienautoren. Doch eine genauere Untersuchung zeige eine zugrunde liegende Schwäche.

Vielleicht ist es aber auch ganz anders: Haben die Ölkonzerne eingesehen, dass sich die Zeit der sprudelnden Ölgeschäfte dem Ende zuneigt, und verkaufen sich daher nach und nach selbst - an Investoren und Kreditgeber, die noch nicht zu dieser Erkenntnis gekommen sind?

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