14 Monate Arbeit ohne Heuer

Immer wieder lassen Reeder veraltete Schiffe im Stich - die Seeleute sitzen fest und sind oft nicht in der Lage, ihre Rechte einzuklagen

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Als sich im Suezkanal die »Ever Given« wieder in Bewegung setzte und der Verkehr durch dieses wichtige Nadelöhr des Welthandels allmählich wieder in Gang kam, atmeten die Märkte auf. Ohnehin boomt die internationale Frachtschifffahrt. Doch an 19 Männern im kuwaitischen Hafen Schuaiba geht das völlig vorbei: Sie dürfen nämlich ihr Schiff, den Frachter »M/V Ula«, seit mittlerweile fast einem Jahr nicht verlassen, und seit 14 Monaten sind sie auch nicht bezahlt worden. 410 000 US-Dollar soll ihnen der Eigentümer des Schiffes mittlerweile schulden, heißt es laut der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die zu den Vereinten Nationen gehört. Die aus Aserbaidschan, der Türkei, Bangladesch und Indien stammenden Männer sind so verzweifelt, dass sie im Hungerstreik sind, auch das schon seit einigen Wochen.

Die umfangreichen Unterlagen, die sich bei der ILO und der Internationalen Transportarbeiter-Förderation (ITF) mittlerweile zu dem Fall angesammelt haben, lassen sich so zusammenfassen: Niemand will zuständig sein. Internationale Abkommen, die eigentlich Verbesserungen bringen sollen, machen zumindest diesen Fall eher noch schlimmer. Das Problem: Die Regelungen, die dafür sorgen sollen, dass anders als im ersten Lockdown vor einem Jahr nicht wieder Tausende Seeleute aus Quarantänegründen oder mangels Heimreisemöglichkeit festsitzen, umfassen nicht die »verlassenen Schiffe«. Seit Beginn der Pandemie haben laut der Gewerkschaft die Fälle zugenommen, dass sich die Reederei aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr um ihr Schiff kümmert, der Flaggenstaat die Registrierung zurückzieht oder Versicherungen auslaufen.

Für die meist aus sehr armen Ländern stammenden Crews beginnt dann eine Odyssee durch die unbekannten Rechtssysteme von weit entfernten Ländern. Internationale Organisationen wie ILO und ITF können dabei nur vermitteln. So gehört die »M/V Ula« dem Unternehmen Aswan Trading and Contracting aus Katar; es fuhr unter der Flagge Palaus, bis dort im Mai 2020 die Registrierung auslief. Seitdem ist das Schiff staatenlos. Dabei ist dieser Fall noch recht einfach gelagert: Viel öfter liegt die Eigentümerschaft eines Schiffs hinter Briefkastenfirmen verborgen und ist selbst für Behörden nicht oder nur mit hohem Aufwand nachvollziehbar.

Der Eigentümer der »M/V Ula« residiert in einem ansehnlichen Bürogebäude in Doha. Am Telefon meldet sich eine freundliche Mitarbeiterin und verbindet recht schnell mit Firmenchef Nasser Hamad al Nuaimi, der sich darüber beklagt, dass die australischen Behörden vor einigen Tagen zwei seiner fünf verbleibenden Schiffe festgesetzt hätten. Übrigens wegen gravierender Sicherheitsmängel. So fing es auch bei der »M/V Ula« an. Im April 2020 verbot Kuwait dem mit Baustoffen beladenen Frachter die Weiterfahrt. Al Nuaimi macht dafür die Crew verantwortlich: Sie habe das 1982 gebaute und für die Verschrottung vorgesehene Schiff nicht in Schuss gehalten. Und wenn er die Ladung nicht verkaufen könne, dann habe er eben auch kein Geld für die Löhne. Ein Vorzeichen für das, was nun auch den Seeleuten auf den beiden Schiffen in Australien bevorsteht. Und eine Sicht auf die Dinge, die sich nicht mit der Rechtslage deckt.

Seeleute, die sich ihr Recht verschaffen wollen, brauchen allerdings einen langen Atem, und das unter widrigen Umständen. Zunächst einmal können sie das Schiff nicht einfach verlassen, denn aus Sicherheitsgründen schreiben internationale Vereinbarungen eine Mindestbesatzung vor. Solange ein Schiff nicht behördlich beschlagnahmt wurde, wird von vielen Staaten die Verantwortung der Crew selbst zugeschoben. Wer in einer solchen Situation nach Hause will, ist auf Unterstützung und Verhandlungsgeschick seiner Heimatregierung angewiesen, denn staatliche Behörden wie jene Kuwaits zeigen sich nach Erfahrung der ITF oft unkooperativ, doch sie müssten sich eigentlich kümmern, wenn ein Schiff verlassen im Hafen liegt. Auch müssen Seeleute ihre Klagen in fremden Ländern einreichen und die hohen Kosten tragen.

Doch einfach auf die ausstehende Heuer, also den Lohn, zu verzichten, ist vor allem für Seeleute aus armen Ländern auch keine Option. Sie haben sich in ihren Heimatländern oft verschuldet, um überhaupt in die Nähe der vermeintlich lukrativen Jobs reisen zu können; viele haben auch Provisionen an Vermittler*innen gezahlt. Mit leeren Taschen nach Hause zurückzukehren, wäre daher eine Katastrophe. Da ist selbst ein Hungerstreik die bessere Alternative.

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