Die Enteignung der Gefühle

Woher kommt der Hass? Marlon Grohn über den Klassenkampf im Internet. Von Jakob Hayner

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 4 Min.

Carolin Emcke ist dagegen, Sascha Lobo ist dagegen, Jan Böhmermann ist dagegen und auch Lars Eidinger ist dagegen und vergießt ein paar Tränen. Sie sind gegen den Hass, die Wohlgesinnten. Nimmt man Marlon Grohn beim Wort, dient das vor allem den Wohlbetuchten. »Hass von oben, Hass von unten« heißt sein soeben erschienenes Büchlein, es ist nach »Kommunismus für Erwachsene« bereits das zweite. Und es ist nicht nur der Untertitel - »Klassenkampf im Internet« -, der die FAZ in ihrer Besprechung trotz »originellem Ansatz« hat schaudern lassen, sondern mehr noch die Mischung aus stilistischer wie inhaltlicher Wucht und unverblümtem Bolschewismus. Neben Lenin sind noch Hegel, Marx, Karl Kraus und Peter Hacks im Waffenschrank, schweres Geschütz also. Und mit dem geht er auf alte wie neue Medien los. Gefangene werden da keine gemacht, Grohns Polemik ist gnadenlos, weil sie die Umstände benennen will, in denen der Internetuser ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.

Nun musste der berüchtigte Hass im Netz bereits dazu herhalten, dass man ein Gesetz gegen ihn erlässt. Es trägt den sperrigen Namen Netzwerkdurchsuchungsgesetz, wurde aber bereits als Anti-Hass-Novelle tituliert. So werden künftig beispielsweise beleidigende Äußerungen im Internet als Straftaten verfolgt - mit umfangreichen Befugnissen für die Strafverfolgungsbehörden. Grohn benennt ein paar Gründe, warum davon nichts zu halten ist. Es sind grob folgende: Erstens sollte faschistische Propaganda in Wort und Tat kaum verharmlosend »Hass« genannt werden. Zweitens betrifft das immer nur den »illegitimen« Hass, nicht aber beispielsweise jene Medien, die das zum Geschäftsmodell erhoben haben. Drittens liegen die Gründe der Rohheit, mit Brecht gesprochen, nicht in der Rohheit, sondern in den Geschäften, die ohne sie nicht betrieben werden können. Und viertens komme ein Verbot »negativer Gefühle« einer doppelten Enteignung gleich, in dem Sinne, dass denen, die nichts auf ihren Tellern haben, schon immer zuerst die Tischmanieren nahegelegt wurden, deren Nichteinhalten der Grund für die leeren Teller sei, nicht andersherum (was sich leicht sagt, wenn es der eigene nicht ist).

Ganz nebenher liefert Grohn nicht nur eine Theorie des Trolls, sondern auch ein paar deutlich urteilende Einblicke ins heutige Treiben der von den Tech-Konzernen organisierten Halböffentlichkeit der »sozialen Medien«. Mit ebenso deutlichen Worten über jene Linken, die sich der dortigen Gegen-den-Hass-Kampagne angeschlossen haben: »Die Linken haben sich zurückgezogen in ihre safe spaces, in ihre autonomen Bubbles, Flausch-Communitys, ihre sorgsam abgesteckten Nettigkeits-Zonen - und jene postlinken jammerlappigen Provokations-Hampelmänner vom Schlage der Ideologiekritiker willfahren diesem Bedürfnis bloß, indem sie ihre eigene geschlossene Anstaltsmoral kultivieren, die zur Kommunikation nicht mehr fähig ist.« So schreibt nur einer, der noch hassen kann und will. Oder auch gehasst werden möchte. Lässt man solche Spekulationen einmal beiseite, liegt die analytische Erkenntnis von Grohns Pamphlet darin, den Zusammenhang verschiedener Erscheinungen herzustellen. Für ihn gibt es nicht einerseits den bösen Hass und andererseits die gute Nettigkeit, sondern nur eine verkehrte Gesellschaft, die »negative Gefühle« produziert.

Dass Hass nicht einmal das Schlimmste an unserer Gesellschaft ist, dürfte wohl die tiefere Überzeugung von Grohn sein. Dass seine Ächtung gerade für Linke einer affektpolitischen Selbstentwaffnung gleichkommt, früher nannte man es Klassenhass, wohl auch. »Hass«, so schrieb Maxim Biller in einer seiner legendären »Tempo«- Kolumnen »Hundert Zeilen Hass« einmal, »bedeutet Wahrheit - und etwas mehr Ehrlichkeit. Hass, so wie ich ihn verstehe, hilft unterscheiden: zwischen Gut und Böse, Freund und Feind. Wer diese Unterscheidung nicht will, hat keine Moral und keine Prinzipien.« Bloß gegen den Hass, gegen die Spaltung der Gesellschaft, gegen den Verlust an »sozialem Zusammenhalt« zu sein, ist für Grohn nicht ausreichend. Und selbst der FAZ schwante dann, dass der Autor auf eine kommunistische Revolution hinauswill. Davon riet sie freilich dann doch ab.

Marlon Grohn: Hass von oben, Hass von unten. Klassenkampf im Internet. Das Neue Berlin, 176 S., br., 12 €.

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