Wir müssen reden

Die Linke sollte über die staatlichen Maßnahmen gegen das Coronavirus kritisch diskutieren. Ein von Liberalen veröffentlichtes »Manifest für die offene Gesellschaft« hilft dabei wenig. Von Peter Nowak

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.

Nach über einem Jahr Corona-Lockdown hat man gelegentlich den Eindruck, in einer Zeitschleife gefangen zu sein. So fordert das Kampagnennetzwerk Campact erneut einen harten Lockdown mit Kontakt- und Versammlungsverboten und einer nächtlichen Ausgangssperre. Wer den Nutzen solcher Maßnahmen in Zweifel zieht, dem wird von Campact-Vorstandsmitglied Felix Kolb »Körperverletzung durch Unterlassen« vorgeworfen.

Da ist wieder der autoritäre Schwenk bei großen Teilen der Linken zu spüren, der möglicherweise länger nachwirken könnte als die Corona-Pandemie selbst. Bei fast jeder Demonstration bekommen wir Kostproben davon zu spüren. Da wird Menschen, die Zweifel an den Corona-Maßnahmen haben, und zwar längst nicht nur Rechte, schon einmal die Drohung »Wir impfen euch alle« entgegengeschleudert. Raum für Zweifel gibt es da nicht. »Zero Meinung« hat Velten Schäfer, Redakteur der Wochenzeitung »Freitag«, kürzlich einen Debattenbeitrag überschrieben, der sehr treffend feststellt: »Das Virus hat nicht nur Theater, Unis und Schulen, die Sporthallen und Schwimmbäder, die Kaufhäuser, Clubs und Bars dichtgemacht, sondern oft auch unsere Hirne.«

Auch in großen Teilen der Linken ist seit einem Jahr »Maske auf und Maul halten« angesagt. Wer sich um die Grundrechte sorgt, wird schnell zum Querdenker gestempelt. Da ist es zunächst positiv, dass sich nun auch Liberale für eine offene Debatte über die Pandemie und die Folgen aussprechen. Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und Publizist*innen, darunter die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, klagen in einem zeitgleich in der Tageszeitung »Die Welt« und der Wochenzeitung »Freitag« veröffentlichten Manifest über »Konformitätsdruck« und »einseitige Lagerbildung in der Gesellschaft« in der Corona-Debatte. Auch das Schwarz-Weiß-Denken wollen die Unterstützer*innen des »Manifests für die offene Gesellschaft« hinter sich lassen.

Nun hat es in der jüngeren Vergangenheit nicht an Erklärungen gemangelt, die eine angeblich oder tatsächlich bedrohte Diskussionskultur beklagten. Erinnert sei nur an den »Appell für freie Debattenräume«, der Unterstützer*innen aus verschiedenen europäischen Ländern bekam und sich gegen eine »Cancel Culture« in Hochschulen und Medienhäusern wandte. Jetzt soll es gleich ein Manifest sein, dessen kurzer Text dann sehr floskelhaft wirkt. Da wird der soziale Friede und der gesellschaftliche Zusammenhalt angemahnt, der angeblich bedroht sei. Nun ist bekannt, dass den liberalen Freund*innen der offenen Gesellschaft Begriffe wie Klassen oder gar Klassenkampf ein Gräuel sind. Deshalb werden sie auch nie begreifen, dass sozialer Frieden und Zusammenhalt in einer kapitalistischen Gesellschaft Ideologie sind und auf Ein- sowie Unterordnung zielen. Wenn dann in dem Manifest noch als Ziel benannt wird, man wolle sich besonnen, in Ruhe und ohne Angst über Corona und die Folgen austauschen, dann denkt man an Fernseh-Talkrunden à la Anne Will und Ähnliches.

Das aber wäre nun wahrlich keine Alternative zur autoritären Diskussionsverweigerung vieler Linker in der Corona-Frage. Zumal die »offene Gesellschaft« durchaus kein antiautoritäres Projekt ist, wie Karl Popper, einer der theoretischen Begründer des Konzepts in seinem Hauptwerk »Die offene Gesellschaft und ihre Feinde« deutlich machte. Zum Glück haben inzwischen nicht nur Liberale, sondern auch Linke erkannt, dass nach einem Jahr Corona-Lockdown eine kritische Bestandsaufnahme, die auch die Rolle großer Teile der Linken mit einschließt, notwendig ist. Dabei sollte die Frage nicht ausgeklammert werden, ob nicht der tiefe Pessimismus einer Weltgesellschaft, die sich eher das Ende der Menschheit als das des Kapitalismus vorstellen kann, ein Grund dafür ist, dass wir aus dem Lockdown nicht mehr herauskommen.

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