Im Tschad droht Bürgerkrieg

Nach dem Tod von Diktator Idriss Déby deuten sich mehrere Machtkämpfe an

  • Mirco Keilberth, Tunis
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit der Beerdigung des Staatspräsidenten Idriss Déby am Freitag herrscht in der tschadischen Hauptstadt N’Djamena gespannte Ruhe. Regierungschefs der Nachbarländer und der einzige westliche Staatsgast, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, erwiesen dem Chef des Militärrates, Débys Sohn Mohamed Déby, auch bekannt als Mohamed Kaka, die Ehre und bekräftigten die Einheit des Landes. Gleichzeitig bombten französische Kampfflugzeuge vermutete Stellungen der Rebellen in der nördlich vom N’Djamena gelegenen Stadt Mao.

Der 37-jährige Mohamed Kaka hatte einen Tag nach dem Tod seines Vaters Parlament und Regierung aufgelöst und sich per Fernsehansprache an die Macht geputscht. Laut Verfassung hätte der Parlamentspräsident die Amtsgeschäfte übernehmen sollen. Doch angesichts der Angst vor einem Einmarsch der Rebellen leisteten weder die Abgeordneten noch die Opposition Widerstand gegen die Machtergreifung der Generäle. Tschadische Journalisten berichten, dass sich wohlhabende Familien aus N’Djamena auf den Weg an die nahe kamerunische Grenze gemacht haben und sich viele Hauptstädter zu Hause verstecken, nachdem Panzer in den Straßen aufgefahren sind.

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Mit dem Versprechen nach 18 Monaten Neuwahlen zu organisieren, beruhigte Mohamed Kaka seine ausländischen Gäste, die mit ihrer Anwesenheit die Machtübernahme dessen Putsch indirekt legitimieren. So sehen es zumindest Opposition und Zivilgesellschaft, die den »feudalen Machtwechsel« und die Anreise der internationalen Delegationen heftig kritisieren.

Die Rebellen der »Front für Wandel und Eintracht« (FACT) drohen trotz des Gegenschlags französischer Truppen in N’Djamena einzumarschieren. In der Woche zuvor war die mit modernen Waffen ausgerüstete Miliz mit 400 Jeeps aus dem 2000 Kilometer entfernten libyschen Ort Sokna bis nach Mao vorgerückt. Die tschadische Armee hat damit die Kontrolle über den Norden des Landes verloren. In dem 290 Kilometer nördlich von N’Djamena gelegenen Mao leben mehrheitlich Tobu, eine in Libyen, dem Tschad und Niger beheimatete Ethnie. Auch die seit mehr als fünf Jahren in Libyen stationierten FACT-Rebellen sind Tobu. Derzeit rekrutieren sie junge Männer aus der Region für den Weitermarsch auf die Hauptstadt. Um dies zu verhindern, war der seit 30 Jahren regierende Idriss Déby an die Front gereist, wo er vergangenen Montag 80 Kilometer nördlich von Mao verwundet wurde. Kurz darauf erlag der 68-Jährige seinen Verletzungen.

Ohne das Eingreifen der in N’Djamena stationierten französischen Armee hätten sich die befehligten Rebellen vielleicht schon mit der Opposition in der Hauptstadt verbündet. Diese hatte in den vergangenen Monaten immer mehr Demonstranten gegen Déby mobilisieren können. Oppositionsführer hatten das nach der Wahl vom 13. April verkündete Endergebnis von 78 Prozent der Stimmen für die sechste Amtszeit Débys öffentlich angezweifelt.

Der politische Beobachter Younis Issa lebt in dem libysch-tschadischen Grenzgebiet und glaubt, dass die Ernennung Mohamed Kakas den FACT-Rebellen die Unterstützung in der Bevölkerung nehmen könnte. Denn die Mutter des Generals ist, wie die Mehrheit der Rebellen, eine Tobu aus der Gegend rund um Mao. Weil Idriss Déby sie nicht geheiratet hatte, wuchs Mohamed Kaka bei seiner Großmutter auf. Kaka bedeutet in der Sprache der Tobu Großmutter. »Um die Lage zu stabilisieren, könnten die Generäle des 17-köpfigen Militärrates Mohamed Kaka als Dialogpartner für die Rebellen bestimmen«, glaubt Issa.

Journalisten aus N’Djamena vermuten, dass Gerüchte eines Attentates auf Mohamed Kaka darauf hindeuten, dass der Clan um Hinda Déby, die Witwe von Idriss Déby, mit der Wahl Mohamed Kakas unzufrieden ist. In den vergangenen Jahren geriet sie bei vielen Generälen wegen ihres luxuriösen Lebensstils und ihrem Einfluss auf die Entscheidungen ihres Mannes in Kritik. Mohamed Kaka verfügt, anders als seine Brüder, keinen Zugang zu dem Clan von Débys letzter Ehefrau Hinda Déby.

Younis Issa, der 2014 Kulturminister in Tripolis war und auch Tobu ist, hat in den vergangenen 19 Jahren den Zusammenbruch der staatlichen Ordnung in Libyen selbst erlebt. Nun fürchtet er einen Bürgerkrieg auch im Tschad, einem Land mit 200 Ethnien. Rebellen und Regierungsarmee hätten in den vergangenen Jahren in der gesamten Region Kampferfahrung gesammelt und könnten sich bei einem Ausschluss der Macht in den bewaffneten Widerstand zurückziehen oder radikalisieren, befürchtet Issa. »So wie im libyschen Sirte, wo einige von den Revolutionären ausgeschlossenen Gaddafi-Anhänger den islamischen Staat für sich nutzten.«

Die Mehrheit der Déby-Familie und der Armee gehört zu dem Stamm der Zaghawaan und ist eng mit der Darfur-Region verbunden. »Sollte der Tschad im Chaos versinken, wird dies schwere Konsequenzen für den Frieden im Sudan und in der gesamten Region haben«, warnt Issa.

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