Kein Garant sozialer Rechte

Die Europäische Union dient zuerst großen wirtschaftlichen und politischen Interessen

Das Vorhaben klingt vielversprechend. Auf ihrem Gipfel am Freitag in der nordportugiesischen Stadt Porto bastelt die EU weiter an ihrer 2017 in Göteborg ausgerufenen »sozialen Säule«. Insbesondere zugunsten junger Menschen sollen angesichts der dramatischen Folgen der ökonomischen Shutdowns in der Coronakrise Schritte unternommen werden.

Die Geschichte der Europäischen Union und der sie leitenden Interessen und neoliberalen Prämissen lassen nicht unbedingt erwarten, dass sich der Staatenbund nun zum Vorkämpfer sozialer und Arbeitsrechte mausert. Bereits die EU-Vorläufer, die in den 1950ern gegründete Montanunion und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), zielten vorrangig auf die Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes, der in den vergangenen Jahrzehnten mit der Europäischen Gemeinschaft (EG), der Gründung der EU 1993 und deren Osterweiterung sukzessive ausgedehnt wurde. Die politische und die - weiter fortgeschrittene - wirtschaftliche Integration schufen einen Block von Gewicht in der globalen Konkurrenz. Dem dient auch die mittlerweile in 19 von 27 EU-Staaten eingeführte Gemeinschaftswährung Euro und die vergemeinschaftete Geldpolitik. Zugute kommt diese vor allem den großen exportorientierten Nationen im Euro-Raum.

Steuern und Soziales blieben den nationalen Politiken überlassen. Brüssel, dem die kapitalstärksten Lobbymächte die Hand führen, war nie ein Bollwerk gegen den Wettbewerb beim Sozialdumping. In den Eurokrisenstaaten an der EU-Peripherie sind die ihnen auferlegten Austeritätsprogramme und die daraus folgenden sozialen Härten noch in schlechter Erinnerung. Kurzum: Die EU hat in der sozialen Frage ein enormes Glaubwürdigkeitsproblem. Steht Porto nun für eine Wende?

Ein Blick hinter die Fassade der Europäische Säule sozialer Rechte (ESSR) lässt daran zweifeln. Die hier empfohlenen vagen Regeln bleiben hinter Standards wie denen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und auch den in etlichen EU-Mitgliedsstaaten verankerten Arbeitsrechten sogar noch zurück. Nicht in Sicht sind dringend nötige armutsfeste Mindestlöhne, wofür allerdings die nationalen Parlamente zuständig sind.

Die Linke-EU-Abgeordnete Özlem Alev Demirel forderte mit Blick auf Porto statt Lippenbekenntnissen einen Politikwechsel durch ein »verbindliches Sozialprotokoll in den EU-Verträgen«, in dem festgelegt wird, »dass soziale Grundrechte und sozialer Fortschritt auch im Konfliktfall Vorrang vor wirtschaftlichen ›Freiheiten‹ und Wettbewerbsregeln haben«. Der Bundestagsabgeordnete der Linken Andrej Hunko sah das Fernbleiben der Bundeskanzlerin vom EU-Gipfel als bezeichnendes »Social Distancing auf EU-Ebene«.

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