»Da fahre ich gerne in alle Löcher«

In Corona-Testzentren kommt es immer wieder zu sexueller Belästigung. Denn die ist ein strukturelles Problem

  • Franka Frei
  • Lesedauer: 6 Min.

»Den Würgreflex hast du aber gut trainiert!«, sagt der Arzt, der seit mehreren Sekunden mit einem Teststäbchen in Lenas Rachen wühlt. Lena, die eigentlich anders heißt, ist perplex. Offensichtlich ist sich der Mediziner, der täglich Hunderte PCR-Tests durchführt, der Grenzüberschreitung nicht bewusst. Über seiner Maske hebt er vielsagend die Augenbrauen - und lacht. Lena lacht nicht. Sie kommt sich ausgeliefert vor, weiß nicht was sie sagen soll und verlässt das Testzentrum mit einem Gefühl von Scham.

Mit dieser Erfahrung von sexueller Belästigung ist Lena nicht allein. Alltagssexismus findet sich überall: Auf der Straße, bei der Arbeit, in medizinischen Praxen - und eben auch in Testzentren. Auf meine Frage, ob jemand ähnliche Erfahrungen gemacht hat, antworten auf dem sozialen Netzwerk Instagram 14 Prozent mit »Ja«.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

»Du siehst aus, als könntest du den Mund ganz weit aufmachen«, »Da fahre ich gerne in alle Löcher« oder »Das machst du aber brav. Bist du Single?« - das sind nur einige Beispiele der über 50 Nachrichten, die innerhalb eines Tages eintrudelten. Eine 56-Jährige aus Bamberg schildert einen Vorfall in einem Testzentrum, bei dem sie von einem jungen Mitarbeiter hörte, sie solle doch froh sein, »in ihrem Alter noch etwas in den Mund zu bekommen«. Eine Stuttgarterin schreibt, dass sie am Flughafen beim Rachenabstrich zu hören bekam: »Sie sind ja eine Frau, da bekommen Sie das doch wohl gut hin.« Und in Nürnberg hieß es im Testzentrum zu einer Patientin, sie solle einfach an ihren Freund denken, dann sei es leichter. Die Liste der Erfahrungen ist lang - und das Problem klar: Frauen und weiblich gelesene Personen werden in ganz alltäglichen Situationen sexualisiert.

Sexuelle Belästigung ist eine Machtdemonstration, der internalisierte, patriarchale Strukturen zugrunde liegen. (Cis-) Männer lernen, dass sie in jeder Hinsicht mehr Raum einnehmen dürfen, weil ihre Meinung und ihre Bedürfnisse vermeintlich mehr zählen und dass »Mannsein« etwas mit körperlicher Kraft, Steak, Bier, Dorfprügeleien und einem besonders stark ausgeprägten Sexualtrieb zu tun habe. Kein Wunder also, dass es für manche auch völlig in Ordnung, witzig oder sogar ein Kompliment zu sein scheint, Frauen ungefragt die eigenen Gedanken über ihr Aussehen oder sexuellen Vorlieben mitzuteilen - egal, wie unpassend die Situation ist, ob man Arbeitskollege, behandelnder Arzt oder eben Mitarbeiter in einem Coronatestzentrum ist.

»Gerade im Gesundheitsbereich sind Patient*innen gegenüber der Handlungsmacht des medizinischen Personals besonders vulnerabel und ausgeliefert«, erklärt Claire Meyerhoff vom Verein feministische Medizinerinnen* im Gespräch. »Nicht nur in dieser Krisenzeit, in der wir alle auf die Coronatestungen angewiesen sind, ist es inakzeptabel, dass Testende ihre Position in Form von sexualisierten ›Witzen‹, übergriffigen Bemerkungen oder Verhalten missbrauchen.«

Doch die Belästigung kommt sowohl von Seiten der Testenden als auch von behandelten Personen: Auf Instagram schildern Mitarbeiter*innen von Coronateststellen in Hamburg, Köln, Frankfurt und München Belästigung durch Patienten als auch von Kollegen. Die Palette reiche von Bemerkungen darüber, wie gut ihnen der Schutzanzug stehe und dass es »eine Schande« wäre, dass sie ihr »hübsches Gesicht unter einer Maske verstecken« müssten, bis hin zu Aussagen wie: »Heiße, junge Frauen wie ihr sind der Grund, weshalb ich meiner Frau sage, ich freu mich auf die Arbeit.«

»Ich hatte auch schon Männer, die gesagt haben, dass ich wahrscheinlich gerne mit ihnen tauschen würde oder dass sie mir bei einer anderen Gelegenheit ein dickeres Stäbchen einführen können«, berichtet eine Testerin aus Bayern. Laut einer Mitarbeiterin eines Bremer Testzentrums, die ebenfalls anonym bleiben möchte, reichen Diskriminierungsformen an ihrem Arbeitsplatz von Klassismus über Sexismus, bis hin zu offen rassistischen Äußerungen. »Stellen Sie sich mal nicht so an, Sie sind doch kein Weichei«, heißt es zum Beispiel gegenüber Männern, denen beim Nasenabstrich die Tränen kommen. Menschen, die migrantisch gelesen werden, hören Aussagen wie »Komm her, Aishe, so heißt du doch!«

Von offiziellen Beschwerden aufgrund solcher Fälle weiß die Testerin nichts. Das Verhalten ihrer Vorgesetzten zu melden, könnte berufliche wie persönliche Negativkonsequenzen für sie und einige ihrer Kolleg*innen bedeuten. »Wir arbeiten alle unter enormem Stress, viele haben Angst um ihren Job, und es gibt zu wenig Personal«, erklärt sie. Für Themen wie Sexismus fehle allgemein das Problembewusstsein. »Wenn ich mich an Kolleg*innen wende, wird besagter Arzt oft in Schutz genommen oder sein Verhalten extrem verharmlost« - eine verbreitete Reaktion. Wer sexistische Sprüche anprangert, bekommt häufig zu hören, das sei doch nur ein Witz gewesen, man solle sich nicht so anstellen und habe ja keinen Humor. Nur: Belästigung ist nicht lustig.

»Sexuelle Belästigung ist eine Form von Gewalt gegen Frauen und eine Form der Diskriminierung«, stellt Katharina Göpner vom Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe in Deutschland klar. »Es geht den Belästigern darum, ihre vermeintliche Überlegenheit gegenüber den Betroffenen zu zeigen, indem diese bewusst abgewertet werden.« Viele, denen Belästigung widerfährt, hätten danach Selbstzweifel oder Schuldgefühle. Auch, weil sie meinen, sich in der Situation nicht ausreichend gewehrt zu haben. Natürlich muss sich die betroffene Person nicht wehren. Die Verantwortung liegt vielmehr bei Täter*innen, nicht bei Betroffenen.

Die Täter*innen konfrontieren

»Allein dadurch, dass Erfahrungen ausgetauscht werden, passiert ein wichtiger Schritt, um Bewusstsein für das Problem zu stärken und Aufmerksamkeit auf das Thema zu richten«, erklären Paulina und Raísa von Catcalls of Germany in einem Video auf Instagram. Die Initiative sammelt seit Jahren Erlebnisse verbaler sexueller Belästigung im öffentlichen Raum, sogenannten Catcalls, und schreibt diese dann mit Kreide auf die Straße (»nd« berichtete). Sie leistet zudem Vernetzungs- und Aufklärungsarbeit. Wenn man aber doch reagieren möchte, raten die Aktivistinnen dazu, den Kommentar gegenüber dem*der Täter*in klar als sexuelle Belästigung zu definieren. »Manche bringt es dazu, ihr Verhalten noch mal zu hinterfragen.« Wer sich etwa beim Testzentrum beschweren möchte, sollte den Namen und weitere Details wie die Uhrzeit und den genauen Ort notieren, heißt es weiter. Ansprechpartner*innen für Beschwerden sind im Falle von Belästigung im Rahmen offizieller Covid-19-Tests entweder das entsprechende Testzentrum, die Apotheke oder die Arztpraxis selbst oder zusätzlich auch das zuständige Gesundheitsamt beziehungsweise die Ärztekammer.

Doch Sexismus ist vor allem ein strukturelles und damit gesamtgesellschaftliches Problem, mit dem sich auch diejenigen beschäftigen sollten, die es nicht am eigenen Leib erleben. Wir brauchen mehr Bewusstsein dafür, was übergriffig und somit nicht okay ist. Dazu muss im Bildungssystem angesetzt, Geld für Schulungen in die Hand genommen und Belästigung auf jeder Ebene ernst genommen werden. Menschen sollten ihre Privilegien erkennen und hinterfragen und von wenig hilfreichen Verteidigungsversuchen absehen. Dazu zählen Sätze wie »Ich habe so was aber noch nie gemacht« oder »Not all men«, also Verweise darauf, dass ja nicht alle Männer sexuell belästigen würden. Denn Sexismus ist kein »Frauenproblem«, sondern ein Spiegel von gesellschaftlichen Machtstrukturen, gegen die es sich kollektiv zu stellen gilt.

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