Scholz attackiert Union und Grüne

Beim SPD-Bundesparteitag wirft der Spitzenkandidat seinen Kontrahenten mangelhafte Konzepte vor

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 5 Min.

Im Hintergrund der Bühne des SPD-Bundesparteitags am Sonntag wird ein Schriftzug eingeblendet. »Olaf Scholz - Kanzler für Deutschland« steht dort. Daneben sind schwarze Herzen zu sehen. Der Finanzminister steht allein auf der Bühne in Berlin. Er trägt einen dunklen Anzug, Krawatte und weißes Hemd. Scholz spricht in eine Kamera. Es ist sein großer Auftritt bei dem Treffen der Sozialdemokraten, die ihn als Kanzlerkandidaten bestätigen sollen. Wegen der Coronakrise findet der Parteitag der Sozialdemokraten mit rund 600 Delegierten hauptsächlich digital statt. Scholz redet über die Pandemie. »Wer Eltern in Pflegeheimen hat, der weiß spätestens jetzt, wie wichtig die Arbeit der Pflegekräfte ist«, erklärt er. Es gebe zahlreiche Männer und Frauen, die trotz der Coronakrise raus müssen und arbeiten, darunter Erzieher in Kitas und Menschen, die Essen ausliefern. Scholz will »Respekt« für diese Personen, die hart arbeiten. »Jeder hat Anspruch darauf, anerkannt zu werden«, sagt der frühere Hamburger Bürgermeister.

Mehr Gerechtigkeit bedeutet für ihn auch, dass Steuern für Spitzenverdiener und Vermögende erhöht werden. Kleine und mittlere Einkommen sollen zugleich entlastet werden. Den Mindestlohn will Scholz schnell auf 12 Euro erhöhen und dafür sorgen, dass öfter nach Tarif bezahlt wird.

Um Wohnungsknappheit zu begegnen und hohe Mieten zu begrenzen, setzt der Sozialdemokrat auf ein Bauprogramm, koordiniert von einem Bündnis »Bezahlbarer Wohnraum für alle«. Notwendig bleibe außerdem ein gesetzlicher Mietenstopp. »Wo Wohnungen knapp sind, da dürfen die Mieten nicht stärker steigen als die Inflation«, sagt Scholz.

Zu seinen Ambitionen, Bundeskanzler werden zu wollen, sagt der SPD-Politiker: »Ich bin überzeugt, dass ich das kann.« Regieren will der Sozialdemokrat an der Spitze einer »breiten Allianz für neuen Fortschritt«. Über mögliche Koalitionsoptionen äußert sich Scholz nicht. Seine derzeitigen Koalitionspartner von der Union werden nun im Wahlkampf zu politischen Gegnern des Vizekanzlers und Finanzministers. CDU und CSU seien »verantwortlich für den Fortschrittsstau«, beschwert sich Scholz. Als Beispiele nennt er die Energiewende und die Digitalisierung. Eine weitere von der Union geführte Regierung wäre »ein Risiko für Wohlstand und Arbeitsplätze« und »ein Standortrisiko für unser Land«. Chef dieser Regierung wäre dann voraussichtlich der derzeitige nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet, der als Kanzlerkandidat antritt.

Scholz kritisiert auch die Grünen, die mit ihrer Parteivorsitzenden Annalena Baerbock an der Spitze in den Wahlkampf ziehen. Sie setzten darauf, »dass große Ziele allein genügen würden, um die Zukunft zu gewinnen« und sie würden praktische Fortschritte vernachlässigen, moniert der Sozialdemokrat. »Wir brauchen Zukunftsstrategien, die den vielen Beschäftigten in der Industrie neue Perspektiven, Arbeitsplätze und Sicherheiten bieten«, erklärt Scholz. Das fehlt aus seiner Sicht bei den Grünen.

Trotz schlechter Umfragewerte präsentiert sich die SPD auf ihrem Bundesparteitag geeint. Neben dem Votum für die Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz wird auch über das Wahlprogramm abgestimmt. Anstatt eine kontroverse Antragsdebatte zu führen, loben zahlreiche Redner, die per Video zugeschaltet werden, den Programmentwurf und den Kanzlerkandidaten vor seinem Auftritt. Der Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer sagt: »Olaf Scholz liegt zwar in den Umfragen zurück, er wird aber gewinnen.« Schäfer erinnert an die einstigen Wahlsiege von Scholz in Hamburg. Er vergleicht den Spitzenkandidaten mit den einstigen SPD-Kanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt, die auch nicht als Parteilinke galten, bei den Wahlen aber erfolgreich waren.

Es gibt aber auch Hinweise darauf, dass es in der Partei wegen der desaströsen Umfragewerte von nur noch 14 Prozent unter der Oberfläche brodelt. Vor wenigen Wochen hatte der SPD-Landesvorsitzende aus Rheinland-Pfalz, Roger Lewentz, den Generalsekretär Lars Klingbeil attackiert. Denn aus Sicht von Lewentz sind die Sozialdemokraten zu zurückhaltend in den Wahlkampf gestartet.

Auf dem Bundesparteitag wirkt es zuweilen so, als hätten sich einige Genossen die Kritik von Lewentz zu Herzen genommen. Immer wieder sind nun Attacken auf die Union zu vernehmen, nicht nur in der Rede von Scholz. Parteichefin Saskia Esken spricht von einer »Richtungswahl«. »Entweder bilden wir eine progressive Regierung unter Olaf Scholz oder es droht ein konservativer Dornröschenschlaf«, erklärt sie. Die Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal will die »Union aus der Regierung werfen«.

Kritik an der eigenen Rolle in der Großen Koalition bleibt allerdings aus. Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds, Reiner Hoffmann, lobt in einem Grußwort vielmehr die Regierungsarbeit der SPD. Ohne die Sozialdemokraten wären zahlreiche Maßnahmen während der Corona-Pandemie nicht durchgesetzt worden. Hoffmann nennt in diesem Zusammenhang die Aufstockung des Kurzarbeitergelds und die Pflicht zum Angebot von Corona-Tests in Unternehmen. Klimakrise und technologischer Wandel beschleunigten nun »einen anspruchsvollen Transformationsprozess«, so der Gewerkschafter.

Beim Thema Klimaschutz hat die SPD-Führung im Programmentwurf für die Bundestagswahl noch etwas nachgeschärft. Sie fordert nun das neue Ziel, die CO2-Emissionen bis 2030 um 65 Prozent verglichen mit dem Stand von 1990 zu verringern und bis 2040 um 88 Prozent. Zudem wird im Programm klargestellt, dass Deutschland bereits spätestens 2045 klimaneutral sein solle, nicht 2050 wie bisher angestrebt. Hintergrund ist auch, dass das Klimaschutzgesetz der Großen Koalition nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts überarbeitet werden muss.

Hinzu kommt, dass die SPD noch keinen wirksamen Weg gefunden hat, wie sie den Grünen Paroli bieten kann. Diese können derzeit offensichtlich mit dem Thema Klimaschutz punkten und liegen in den Umfragen, ebenso wie die Union, deutlich vor den Sozialdemokraten. Die SPD hofft nach den Worten von Lars Klingbeil auf die heiße Phase des Wahlkampfes im August und September. Dass es Scholz aber in dieser kurzen Zeit schafft, das Ruder noch herumzureißen, würde an ein Wunder grenzen.

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