Fans im Notwehrmodus

BallHaus Ost

  • Lesedauer: 3 Min.

Der Fußball-Mai schenkt uns die finalen Partien in den europäischen Meisterschaften. Nachdem Dynamo Dresden den Wiederaufstieg in die zweite Bundesliga schaffte, vernahm ich auch noch brandheiße und superberauschende News vom Balkan.

Sapperlot!! Tusch, Tusch, Tusch! Dinamo Tirana ist nach neun Jahren wieder in der ersten albanischen Liga gelandet. Einige gut im Netz versteckte Seiten präsentierten Dutzende abgerissene, hellblau-weiße Gestalten, die in zweifelhafter Gegend Flagge zeigten. War der Hintergrund ein fetzig abgeranztes Stadion oder doch eine fesche Müllkippe? Egal! Wenn im Herbst der Gott des Reisens lockt, wird Dinamo Tirana meine erste Adresse sein: die hellblauen Dinamoliebchen gegen die tiefblauen einzig wahren Bewohner Tiranas von FK Tirana. Oder doch hellblau gegen die rotgelben von FK Partizani Tirana? Was für Feste stehen uns nun bevor!

Wenn sich in Tirana 20 Leute hellblau gewanden und Dinamo skandieren, ist das so herrlich wie die schönste Rose des Universums! Denkt an die weisen Worte des Barden Frank Schöbel: »Die Fans sind eine Macht, wer keine hat, gut Nacht. Und sind es auch nur sieben oder acht, es sind Fans und Fans sind eine Macht!«

Und komme mir keiner mit dem Einwand, Dinamo sei ein Geheimdienstler-Klub! Oder soll ich euch die Nazigeschichten von Schalke 04 unter die Augenlider projizieren? Jeder Verein hat das Recht auf einen Neuanfang, zumal die nachgewachsene Generation nicht für die Schandtaten der Vergangenheit haftbar gemacht werden kann. In der Fußballwelt des Balkans (und möglicherweise auch in der Restwelt) ist es nun mal so, dass der Mensch jederzeit bemüht ist, »immer trocken aus dem Wasser zu kommen«. Waren wir gestern auf Krawall gebürstet, sind wir heute fröhlich aufgekratzt. Als wir Lauch waren, schworen wir, eins plus eins sei drei. Nun ist eins plus eins eben wieder zwei. Was interessiert das Geschwätz von gestern?

Ist man in Tirana, Bukarest, Sofia oder Belgrad gegen den modernen Fußball? Diese Frage stellt sich nicht, weil kaum eine Mannschaft aus dem Osten überhaupt europäische Beachtung findet und das Solidarprinzip längst von geldgierigen Fußballkonzernen und lokalen Bösewichten aufgefressen wurde.

Die Meisterdeppen vom Dienst sind wieder die Fans. So heißt Notwehr das Gebot der Stunde. Weil beispielsweise der Armeeverein Steaua in Bukarest längst von einem irren Tunichtgut mit Geld seiner Würde beraubt wurde, gründeten vermutlich ehrenhafte Fans irgendwann CSA Steaua neu, die aktuell in die 2. Liga Rumäniens stürmen. Ob sie dort vom nächsten Windei übernommen werden?

Die gleiche Situation findet ihr in Sofia, wo der einst große ZSKA Sofia im Wachkoma dämmert, gedengelt von undurchsichtiger Umtopferei. Und was machen die Fans in Sofia? Sie suchen nach einfachen Lösungen und gründen ihren Verein neu: ZSKA 1948 Sofia gibt es seit 2016. Letztes Jahr stiegen sie in die höchste bulgarische Spielklasse auf und spielen jetzt gegen den PFK (professioneller Fußballklub) ZSKA (Zentraler Sportklub der Armee) Sofia, der vor ein paar Jahren in die Insolvenz gegangen war und sich dank bizarrer Fusionen nach kurzer Zeit wieder aus der Asche erhob. Ist es nicht herrlich?

Beide Klubs werden derzeit übrigens von ehemaligen Legionären der Bundesliga trainiert. Krassimir Balakow ist bei ZSKA 1948 unterwegs, Bruno Akrapović bei PFK ZSKA. Ich empfehle eine Reise nach Sofia über Tirana mit Finale in Bukarest. Es gibt viel Epochales zu entdecken. Ich verstehe gar nicht, warum man in der BRD zum zehnten Mal dem FC Bayern hinterherdackelt? Bayernfans, setzt euch in den Zug: Ab nach Bukarest!

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