Härter gegen Russland

In zwei Jahren im Amt hat der ukrainische Präsident Selenskyj seine Position gegenüber Moskau gewandelt

  • Denis Trubetskoy, Kiew
  • Lesedauer: 4 Min.

Als die Ukrainer den Ex-Komiker Wolodymyr Selenskyj vor zwei Jahren zum Präsidenten wählten, galt der damalige Frontmann der wichtigsten Satiresendung des Landes keinesfalls als prorussisch. Dennoch erwartete man von ihm eine stärker Russland zugewandte Politik als unter seinem nationalorientierten Vorgänger Petro Poroschenko. In Bezug auf den seit 2014 laufenden Krieg im ostukrainischen Donbass hofften einige auf mehr Dialog mit Moskau.

Tatsächlich hatte sich der heute 43-Jährige einiges für die Ostukraine vorgenommen. Und dies, obwohl Russlands Antrittsgeschenk für Selenskyj seltsam war: Nur wenige Tage nach dessen Wahlerfolg kündigte Moskau an, russische Pässe an die Bewohner der selbst ernannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk auszugeben. Trotzdem blieb Selenskyj bei seiner Friedenspolitik. An vereinzelten Orten der Frontlinie wurden Truppen auf beiden Seiten abgezogen, zum ersten Mal seit einigen Jahren gab es wieder Gefangenenaustausche. Der Höhepunkt dieser Politik wurde im Juli 2020 mit einem überraschend erfolgreichen Waffenstillstand erreicht, der bis Anfang 2021 tatsächlich hielt.

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Doch seit einigen Monaten sterben wieder mehr Menschen im Osten, jüngst sorgte ein Aufmarsch russischer Truppen an der ukrainischen Grenze für Spannungen. Mit dieser Zuspitzung kam auch eine deutliche Veränderung der Rhetorik Wolodymyr Selenskyjs, die sich allerdings lange abgezeichnet hatte. »Die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine ist der einzige Weg, den Krieg im Donbass zu beenden«, sagt inzwischen der Mann, der vor der Präsidentschaftswahl noch etwas leichtfertig davon sprach, sich mit Russland »irgendwo in der Mitte« treffen zu wollen. Auch das Thema Nato berührte er früher kaum.

Selenskyj zeigt seinem Moskauer Amtskollegen Wladimir Putin nicht nur rhetorisch Grenzen auf. Sollte der Kreml anfangs noch gehofft haben, dem neuen ukrainischen Präsidenten die Erfüllung des für Kiew ungünstigen Minsker Friedensabkommens vom Februar 2015 aufzuzwingen, erscheint das nun vollkommen unrealistisch. Obwohl das Präsidialbüro in Kiew zu etlichen Kompromissen bereit war, um das tägliche Schießen an der Frontlinie zu beenden, gilt in Kiew das Abhalten der vom Abkommen vorgesehen Kommunalwahlen in den besetzten Gebieten als inakzeptabel. Der Grund: Den Minsker Vereinbarungen zufolge wäre der Urnengang nur nach der Übergabe der Kontrolle über die ukrainische Grenze im Donbass möglich. Demnach würde Kiew die Grenze erst nach den Wahlen kontrollieren.

Wirklich erstaunlich ist, dass unter Selenskyj Dinge umgesetzt werden, die selbst unter seinem deutlich russlandkritischeren Amtsvorgänger Petro Poroschenko unvorstellbar gewesen wären. Ein Beispiel dafür ist das Vorgehen gegen den Oligarchen Wiktor Medwedtschuk. Der persönliche Freund Wladimir Putins galt früher als eine Art inoffizieller Botschafter zwischen der Ukraine und Russland und vertrat Kiew im Auftrag des ukrainischen Präsidenten bei den Verhandlungen in Minsk. »Ich würde mich selbst mit dem Teufel befassen, um unsere Gefangenen zu befreien«, rechtfertigte sich damals Poroschenko, während dessen Amtszeit Medwedtschuk eine mächtige prorussische Partei sowie ein Netz aus drei russlandfreundlichen Nachrichtensendern aufbauen konnte.

Wegen seiner engen Verbindung zu Putin, der sogar Taufpate von Medwedtschuks Tochter ist, galt der überwiegend auf Gasgeschäfte orientierte Unternehmer als unantastbar. Selenskyj hat ihn aber nicht nur schnell aus dem Minsker Prozess rausgeschmissen. Im Februar schaltete der dem Präsidenten unterstehende Sicherheitsrat alle drei Sender ohne Gerichtsentscheid ab. Das rechtlich umstrittene Vorgehen wurde mit dem Verdacht auf eine Finanzierung der Kanäle durch Separatisten begründet. Seit vergangener Woche befindet sich der 66-jährige Medwedtschuk unter Hausarrest und soll wegen Hochverrats angeklagt werden. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm unter anderem vor, Russland bei der Beschlagnahme von Gasfeldern im Schwarzmeerschelf der Krim geholfen zu haben.

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Dass Medwedtschuk keine selbstständige Figur ist und im Interesse Russlands agiert, gilt den Klägern als offensichtlich. Allerdings ist die Anklage nicht lückenlos, was der Grund dafür sein dürfte, warum er vorerst nur unter Hausarrest kam und nicht in Untersuchungshaft. »Werden in der Ukraine alle, die mit Russland arbeiten, zur Verantwortung gezogen?«, fragte sich Wladimir Putin in einer eher leisen ersten Reaktion. Doch es bleibt sicher, dass der Kreml die Entwicklungen um Medwedtschuk mit Spannung verfolgt. Ebenfalls ist klar, dass Selenskyj sich damit eindeutig für eine Russland-Politik entschieden hat, die noch härter ist als unter Poroschenko.

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