»Stahlwerk machst du nicht im Homeoffice«

Kai Bonnecke freut sich, dass der Stahl-Mythos bröckelt, und würde gerne mit gutem Gewissen zur Arbeit gehen

  • Clemens Melzer
  • Lesedauer: 8 Min.

Moin. Sie sind Stahlwerker. Warum machen Sie diesen Beruf?

Ich bin 2008 zu dem Beruf gekommen, da war gerade die Bankenkrise. Danach kam ja der große Aufschwung und es wurden viele Leute im Stahlwerk gesucht. Ich bin da über eine Leihfirma rein, prekär beschäftigt, wie man so schön sagt. Die Aussicht war, in zwei Jahren übernommen zu werden. Das war bei mir leider nicht so, ich musste fast fünf Jahre in dieser Leihbude arbeiten, bis ich dann meinen Festvertrag gekriegt habe. Warum mache ich den Job? Es macht mir Spaß, es ist kein Bürojob, und es ist interessant. Es ist aber eine komplett andere Welt. Als ich das erste Mal reingekommen bin, dachte ich mir: »Oh Mann, wo bist du hier gelandet?«

Warum? Wie sieht es da aus?

Es ist ja alles Grau in Grau, dreckig, überall brennt’s. Man sieht das auch schön an den Gesichtern der Besuchergruppen, wenn die mal durchgehen und denken: »Oh Gott!« Ich nenne das immer liebevoll Klein-Mordor, wie in »Herr der Ringe«, wo diese Orks gezüchtet werden. Einerseits macht mir der Job Spaß, andererseits habe ich auch Gewissensbisse aufgrund des Stahls, den wir herstellen. Man weiß nie, was daraus wird. Großer Abnehmer ist die Automobilindustrie. Aber man hat auch Abnehmer, wo man sich sagt, hätte ich das mal vorher gewusst.

Welche Abnehmer sind das?

Rüstungsindustrie. Man sieht das schon: Aus dem Stahl wird jetzt keine Gabel gemacht.

Das heißt, das Werk liefert auch Stahl für Panzer, die dann womöglich für die Türkei oder Saudi-Arabien rollen?

Geh ich mal von aus. Natürlich wird das uns als normalen Malochern nicht offengelegt, aber man kann sich seinen Teil denken.

Wie sieht Ihre Arbeit genau aus?

Ich bin direkt im technischen Blasstahlwerk eingesetzt. Wir machen - so nenn’ ich das immer - aus altem Schrott neuen Schrott. Vom Hochofen kommt das Roheisen, dann wird das entschwefelt, da steht dann eine Art riesiger Kochtopf, da werden ein paar Tonnen Schrott eingefüllt, und da kommt das Roheisen drauf. Daraus wird dann Stahl geblasen, der wird abgegossen und weiterverarbeitet. Das ist so der grobe Ablauf. Du hast Jobs, wo du im Leitstand sitzt und Knöpfchen am Computer drückst. Dann hast du Jobs wie Messprobe, Staplerfahren, Legieren, bis zum Arbeiten an der Lanze mit dem Brenner - das ist schon ein bisschen härter. Da stehst du dann mit dem typischen Silbermantel mit Visier. Bei so einer Schmelze reden wir von Temperaturen von 1700 Grad, wo du mit dem Kopf davor bist. Das kann man sich nur schwer vorstellen. Wir sind in einer riesigen Halle, und im Winter friert man da. Vorne brennt dir alles weg und im Rücken frierst du.

Seit 2008 sind Sie im Betrieb. Was hat sich seitdem verändert?

Viel. Damals war noch eine ältere Generation da, das war noch ein ganz anderer Schlag Mensch. Der Ton war rau, musste man sich erst mal dran gewöhnen. Es war auch eine reine Männerdomäne. Die einzige Frau, die da rumgelaufen ist, war vielleicht mal die Putzfrau. Mittlerweile hat sich das geändert. Wir haben jetzt Frauen in der Produktion. Und die Produktion selbst hat sich auch geändert, es läuft jetzt viel über den Computer, und man braucht eben weniger Leute, um Stahl herzustellen als früher. Ich begrüße es aber, dass der Ton nicht mehr ganz so rau ist.

Geben Sie mal ein Beispiel.

Früher, wenn man in den Pausenraum gekommen ist, wurde man von den Älteren schon mit »Na, du ›weibliches Geschlechtsteil‹« begrüßt. Wie gesagt, es war sehr rau. Aber der Zusammenhalt ist schon immer groß gewesen. Und der muss auch groß sein. Man muss sich aufeinander verlassen können, wir arbeiten ja nicht in einer Schokoladenfabrik. Das sage ich auch den Neuen immer: Wir können froh sein, wenn wir heil nach Hause gehen.

Würden Sie sagen, die Arbeit macht Sie hart? Man sagt ja auch »hart wie Stahl« ...

Nein, das ist ein Mythos. Viele halten noch daran fest. Aber durch die technischen Maßnahmen ist das gar nicht mehr so ein knüppelharter Malocherjob. Und jetzt haben wir auch die Mädels bei uns arbeiten, dadurch bröckelt der Mythos. Viele wollen das nicht wahrhaben, viele Kollegen sagen, das ist ein reiner Männerjob. Aber ich glaube das nicht. Also mich macht dieser Job nicht hart. Manchmal hat man leichte Verbrennungen, wir nennen das immer »Hüttenfloh«. Aber der Mythos bröckelt.

Die Arbeit ist dennoch gefährlich. Hatten Sie auch schlimmere Unfälle als den »Hüttenfloh«?

Ja, natürlich. Arbeitsunfälle als Leiharbeiter, die du nicht meldest aus Angst vor Repressionen. Das ist diesem Druck geschuldet, weil man auf eine Übernahme hofft. Zu meiner Zeit als Leiharbeiter gab es auch Kollegen, die hatten immer ein kleines Büchlein dabei und haben aufgeschrieben: »Mitarbeiter XY ist schon wieder krank, das sieht gut aus für mich, jetzt habe ich schon acht Krankentage weniger ...« Wir hatten damals auch kein Weihnachtsgeld, keine Sonderurlaubstage, Prämien hast du auch nicht gekriegt. Aber unsere Gewerkschaft hat das jetzt so in den Griff gekriegt, dass die Kollegen das auch alles kriegen. Das finde ich wichtig, dafür setze ich mich ein. Ich habe das ja fünf Jahre am eigenen Leib gespürt - du gehst zur Bank und kriegst keinen Kredit, weil du keine Festanstellung hast ...

Gleiche Bezahlung schön und gut. Wäre es nicht sinnvoll, Leiharbeit abzuschaffen?

Ja, stehe ich dahinter. Aber es kann ja Produktionsspitzen geben. Man kann Leute einsetzen, aber die müssen dann doppelt so viel verdienen wie die Leute, die angestellt sind. Dann wird sich das Unternehmen das dreimal überlegen. Es muss unattraktiv sein, die prekär weiterzubeschäftigen.

Wie stehen Sie zu Fridays for Future? Es wird ja immer diese Front aufgemacht zwischen Klimaschutz einerseits und Arbeitsplätzen in der Industrie andererseits. Auf welcher Seite stehen Sie?

Ich finde Fridays for Future total super. Junge Leute stehen für was ein, es ist ihre Zukunft. Viele denken maximal bis zum nächsten Sommerurlaub und sagen: Nach mir die Sintflut. Ich habe selber Kinder, und ich möchte denen eine Welt hinterlassen, die lebenswert ist. Man hat die Hoffnung, die Generation macht es besser als wir. Ich arbeite in einem Stahlwerk. Wir sind nach den Kohlekraftwerken diejenigen, die das meiste CO2 in die Atmosphäre blasen. Da bahnt sich ein großer Wandel an. Es soll jetzt »Grüner Stahl« mit Wasserstoff hergestellt werden. Da bin ich auch absolut dafür. Du brauchst keine Hochöfen mehr, sondern es ist möglich, dass du das alles mit Elektroöfen machst. Dann kann ich auch mit einem besseren Gewissen zur Arbeit gehen, weil ich weiß, ich arbeite nachhaltig. Also es muss ein Wandel her, so eine Welt auf Pump geht nicht.

Was verdient man als Stahlwerker?

Wir stehen unter der Automobilindustrie, mit der wir immer verglichen werden. Der Stundenlohn ist nicht so hoch. Wie gesagt, ich bin jetzt schon ein paar Jahre dabei und verdiene knapp 18 Euro. Wir arbeiten im Schichtsystem. Das heißt, ich habe zwei Frühschichten, zwei Spätschichten, zwei Nachtschichten und vier Tage frei. Das komplette Jahr durch. Wir haben nur einen wirklichen Feiertag, das ist der 1. Mai. Da steht wirklich mal alles still. Ansonsten wird das ganze Jahr 24/7 Stahl produziert. Das ist halt das Opfer, das man bringt.

Wie geht es Ihnen damit?

Ich komm’ mit dem Schichtsystem ganz gut klar. Ich habe halt oft unter der Woche frei. Da kann man Behördengänge erledigen oder Arztbesuche. Oder wenn Veranstaltungen für die Kinder in der Schule sind, muss man sich nicht unbedingt Urlaub nehmen. Das hat Vorteile und Nachteile. Aktivitäten im Sportverein kommen dann eher zu kurz.

Und Weihnachten wird im Zweifelsfall zwei Tage früher gefeiert.

Ich habe selbst Kinder und ich versuche schon, mir da Urlaub zu nehmen. Aber wir haben auch Kollegen, die Junggesellen sind, die ziehen über die Feiertage durch und können da gut Geld verdienen. Ein Stahlwerk kannst du nicht so einfach runterfahren. Ich hätte mir einen knallharten Lockdown gewünscht. Denn wir hatten zwar auch Kurzarbeit, haben aber durchgängig gearbeitet. Da hab ich mir schon gedacht: Die Konkurrenz macht zu, wir produzieren schön und greifen noch die Kohle ab. Da hätte ich gesagt: Mach zu, fertig, aus!

Veranstaltungsbranche und Gastronomie wurden durch Corona in die Krise gestürzt. Aber bei den großen Unternehmen ist das Geld dahinter zu wichtig.

Da funktioniert die Lobbyarbeit optimal. Wer ist systemrelevant? Man hat gesehen, das sind die Krankenschwestern, die Lieferdienste oder die Kassierer*innen. Aber die haben bis heute nicht mehr Geld in der Tasche. Die Großen in der Wirtschaft bestimmen halt alles. Klar, es gab noch nie so eine Krise - aber dann nur Zettel hinzuhängen: Abstand halten, Hände waschen, das war teilweise lächerlich. Was die Leute vor allem wütend gemacht hat: Wir waren alle arbeiten, haben uns der Infektion ausgesetzt, und die Betriebsleiter haben gesagt: »Wir gehen jetzt ins Homeoffice, denn wenn das Fundament wegbricht, geht ja hier gar nichts mehr.« Dass die sich selbst als Fundament bezeichnen, ist vielen bitterböse aufgestoßen. Stahlwerk machst du nicht im Homeoffice.

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