Wasserstoff statt Kohlestrom

Mit der neuen Ausstiegsrunde spart der Staat Geld. Sie bringt aber auch weniger Rückgang bei den CO 2 -Emissionen

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein Trend ist es wohl noch nicht, ein Fingerzeig auf jeden Fall. Das Ausschreibungsdesign bei den Steinkohleauktionen bevorzugt offenbar Gebote, die Kraftwerke zu geringen Kosten und dann noch netzverträglich vom Netz nehmen wollen. CO2-Einsparung und Klimaschutz stehen jedenfalls nicht im Vordergrund. Das legen die jetzt veröffentlichten Ergebnisse der zweiten Ausschreibungsrunde nahe.

Die Auktionen sind Teil des gesetzlich beschlossenen Kohleausstiegs in Deutschland. Während es für die Braunkohlekraftwerke feste Stilllegungstermine gibt, hat man bei der Steinkohle einen anderen Weg gewählt. In bestimmten Jahren soll eine festgelegte Kapazitätsmenge dauerhaft vom Netz gehen, 2020 waren es vier Gigawatt. Der Staat zahlt dafür Stilllegungsprämien, die erst ausgehandelt werden. Ausschreibungen sollen möglichst günstige Preise erzielen, zu denen die Betreiber bereit sind, Kraftwerke abzuschalten. Geht der Plan nicht auf, sind Zwangsstilllegungen per Ordnungsrecht vorgesehen.

Laut Bundesnetzagentur haben sich in der zweiten Runde die Gebote für das Kraftwerk von Uniper (ehemals Eon) in Wilhelmshaven mit 757 Megawatt Leistung und für das ebenfalls niedersächsische Kraftwerk Mehrum mit 690 Megawatt, seit 2017 Eigentum der Holding EPH aus Tschechien, durchgesetzt. Hinzu kommt das 67 Megawatt starke Industriekraftwerk Deuben der Mitteldeutschen Braunkohlengesellschaft (Mibrag), die ebenfalls zu EPH gehört, im südlichen Sachsen-Anhalt. Dieses wird mit Braunkohle betrieben, fällt aber nicht unter die Braunkohleeinigung.

Im Unterschied zur ersten Ausschreibung haben sich diesmal Anlagen durchgesetzt, die deutlich älter als 40 Jahre sind. Deuben südwestlich von Leipzig gehört sogar zu den am längsten betriebenen Kraftwerken in Deutschland überhaupt; die erste Anlage war dort schon 1936 in Betrieb gegangen. Das Industriekraftwerk, das unter anderem eine Brikettfabrik mit Strom und Wärme versorgt, lief über die Jahre ziemlich kontinuierlich durch. Die Anlagenliste der Deutschen Emissionshandelsstelle weist für die Zeit von 2016 bis 2019 jedes Jahr CO2-Emissionen um die 750 000 Tonnen aus.

Die anderen beiden Anlagen litten dagegen deutlich unter mangelnder Auslastung. Im Kraftwerk Wilhelmshaven etwa sanken die CO2-Emissionen von 1,6 Millionen Tonnen 2018 auf rund 400 000 Tonnen 2019, im Kraftwerk Mehrum von 2,3 Millionen Tonnen 2018 auf 700 000 Tonnen 2019. Anfang 2020 gab es Berichte, wonach Mehrum die meiste Zeit stillstand. Erst im September lieferte es wieder Strom - und sollte nach damaligen Berichten noch bis 2025 laufen. Hier muss der Eigentümer EPH in den vergangenen Monaten eine Kehrtwende vollzogen haben. Da 2020 wegen des pandemiebedingten Rückgangs nur sehr bedingt als Referenzjahr dienen kann, ist ein Vergleich mit 2019 aussagekräftiger: Demnach dürfte die Stilllegung von Mehrum nicht mehr als 1,9 Millionen Tonnen jährlicher CO2-Einsparung bringen.

Die Klimabilanz der zweiten Ausschreibung fällt damit deutlich schlechter aus als die der ersten Runde. Dort wurden mit der Stilllegung von 4800 Megawatt nach Angaben des Bundesumweltministeriums mehr als zehn Millionen Tonnen CO2 pro Jahr eingespart - pro Megawatt also im Schnitt über alle Kraftwerke etwa 2100 Tonnen. In Runde zwei sind es gemäß eigener Schätzung auf Grundlage der vorliegenden Daten lediglich um die 1250 Tonnen pro Megawatt.

Nach der ersten Steinkohleausschreibung gab es eine Debatte wegen der hohen Kosten für Stilllegung. Die Bundesnetzagentur hat offenbar daraus gelernt und gibt zu den Resultaten der zweiten Ausschreibung nur dürre Hinweise: Diese sei erneut überzeichnet gewesen, erklärte sie. Den Zuschlag hätten drei Anlagen mit zusammen 1514 Megawatt zu Preisen zwischen null und 59 000 Euro pro Megawatt erhalten. Nach der ersten Runde im vergangenen Jahr hatten Bundesnetzagentur und Bundesregierung noch Kosten von 317 Millionen Euro für stillzulegende 4800 Megawatt rechtfertigen müssen.

Als Retter der Kraftwerksstandorte tritt übrigens nun Wasserstoff auf den Plan. In Wilhelmshaven plant Uniper zusammen mit den Unternehmen Rhenus und Salzgitter AG, eine Wasserstoff-Infrastruktur zur Direktreduktion von Eisenerz aufzubauen, perspektivisch auch mit »grünem« Wasserstoff. Am Anfang wird aber, wie bei solchen Projekten fast schon die Regel, Erdgas eingesetzt.

Ähnlich sieht es am Standort Mehrum aus: Unter dem Namen »H2Mehrum« gründete sich vergangenes Jahr eine Initiative, die »grünen« Wasserstoff für die Wirtschaftsregion Hannover-Braunschweig-Wolfsburg voranbringen möchte. Eine Machbarkeitsstudie soll zeigen, inwieweit sich der Kraftwerksstandort für den Aufbau eines Wasserstoff-Netzwerks eignet. Das Ergebnis der Studie wird für den Sommer erwartet.

Angesichts dieser Entwicklung könnten Kritiker einwenden: An Standorten stillgelegter Kohlekraftwerke wird dann doch wieder CO2 emittiert.

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