Nur die halbe Absicherung

Die Grünen-Politikerin Ulle Schauws über notwendige Reformen im Abstammungsrecht

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 5 Min.

Wenn eine verheiratete Frau ein Kind gebärt, wird ein Ehemann automatisch zum Vater, eine Ehefrau oder nicht-binäre Person wird aber nicht automatisch als zweites Elternteil anerkannt. Sie finden das falsch, warum?
Die ganze Frage des Abstammungsrechts dient in erster Linie dem Schutz und der Absicherung des Kindes. Und das ist bei zwei Müttern zum Beispiel nicht von vornherein gegeben. Für die Situation des Kindes ist das eine Schlechterstellung, weil es die Versorgungssicherheit und die Ansprüche eines Kindes mit einem zweiten rechtlichen Elternteil nicht hat.

Was bedeutet das konkret?
Kinder werden ja nicht von ihren Eltern nicht nur versorgt und geliebt, sie werden auch finanziell und rechtlich abgesichert. Daraus ergeben sich Unterhalts- und Erbansprüche. Solange das Kind noch nicht volljährig ist, vertreten die Eltern außerdem die Rechte des Kindes. Ein Kind, das in eine Elternkonstellation mit zwei Müttern hineingeboren wird, hat nur die Hälfte der Absicherung. Das kann fatale Folgen haben, wenn beispielsweise die leibliche Mutter ums Leben kommt.

Ulle Schauws
Ulle Schauws ist frauen- und queerpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ulrike Wagener sprach mit ihr über Familienpolitik und Leihmutterschaft sowie ihre Ziele, das Abstammungsrecht zu reformieren.

Im Moment ist es so, dass eine zweite Mutter oder ein nicht-binäres Elternteil das Kind adoptieren muss. Sie haben gemeinsam mit Vertreter*innen aus SPD, Linke und Grünen die Union aufgefordert einen Reformbeschluss noch in dieser Legislatur zu fällen.Warum eigentlich über den Weg des offenen Briefs, die SPD ist doch in der Regierung?
Wir haben alles ausgeschöpft was es an parlamentarischen Möglichkeiten gab, um das Abstammungsrecht zu verbessern. Nachdem 2017 die Ehe für Alle beschlossen wurde, habe ich einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Absicherung von Kindern vorsah, die in eine gleichgeschlechtliche Ehe hineingeboren werden. Der wurde letztlich abgelehnt.

Auch von der SPD.
Genau. Die SPD ist der Meinung gewesen, dass sie in der Koalition verbleiben muss und hat darauf gesetzt, dass es im Justizministerium vielleicht eine Lösung geben wird. Zuletzt haben das Oberlandesgericht in Celle und das Kammergericht in Berlin geäußert, dass das geltende Abstammungsrecht verfassungswidrig ist. Das wird jetzt vom Bundesverfassungsgericht zu entscheiden sein. Und das hat die Regierungsfraktionen erneut unter Druck gesetzt, auch die SPD. Der Brief ist das Ergebnis eines runden Tisches, zu dem alle Fraktionen eingeladen waren. Schon darauf gab es von der Union keine Reaktion. Somit war klar, dass wir uns nach diesem Austausch gemeinsam an die Union wenden müssen.

Wie sollte eine Reform Ihrer Meinung nach aussehen?
In einer Partnerschaft von zwei Frauen oder nicht-binären und Inter-Personen sollte der zweite Elternteil die Möglichkeit haben von Anfang an rechtlicher Elternteil zu werden. Ob durch die Ehe oder eine Erklärung, bevor das Kind geboren wird - äquivalent zur Vaterschaftsanerkennung. In ungefähr 95 Prozent der Regenbogenfamilien mit Kindern sind lesbische Paare von dieser Regelung betroffen. Aber es gibt auch andere Konstellationen, die gelebt werden, zum Beispiel lesbische Paare, die mit schwulen Paaren zusammen Kinder großziehen wollen, also Mehrelternschaftskonstellationen.

Was ist mit den Kindern schwuler Paare, da gibt es ja meist nicht die Möglichkeit, dass das Kind einfach in die Ehe hineingeboren wird.
Das stimmt. Die Regelungen, über die wir hier im Abstammungsrecht reden, betrifft allermeist zwei-Mütter-Familien, die Kinder bekommen können. Für schwule Väter gibt es die Möglichkeit der Adoption. Und ansonsten geht es um die Debatte der Leihmutterschaft.

Die FDP will die Leihmutterschaft legalisieren.
Ja, die altruistische Leihmutterschaft. Das ist frauenpolitisch eine schwierige Debatte und ich würde das auch nicht befürworten. Aber man muss trotzdem nach Lösungen suchen, wie Vaterschaft gelebt werden kann.

Warum würden Sie es nicht befürworten?
Wenn eine Frau für andere Kinder gebiert, ist das eine sehr weitgehende und beeinträchtigende Dienstleistung, die per Körper zur Verfügung gestellt wird. Ich finde, das überschreitet Grenzen, kann gesundheitsgefährdend sein und kann auch Ausbeutung bedeuten. Bei der Eizellenspende bin ich anderer Meinung. Das ist – wie bei der Abtreibung - eine Frage der Selbstbestimmung.

Wenn ich jetzt entscheiden würde, für ein befreundetes Paar ein Kind auszutragen, dann würden Sie das trotzdem ablehnen?
Das können Sie entscheiden. In Deutschland ist es allerdings gesetzlich nicht erlaubt. Dafür müsste eine Gesetzgebung geschaffen werden.

Die Union hat Ihren Brief nicht beantwortet, gab es denn sonstige Reaktionen aus der Fraktion?
Leider gar nicht. Da gibt es eine große Ignoranz gegenüber den Familien, die jetzt auf Gerichtsentscheidungen warten müssen, weil sich die Verfassungsfrage stellt. Familienpolitik darf sich nur dann so nennen, wenn alle Familien damit gemeint sind. Wenn man hier mit zweierlei Maß misst und nicht alle Kinder und Familien gleichstellt, dann hat sich die Union auch ein stückweit ehrlich gemacht zu sagen: Sie macht eben Politik nicht für alle Familien.

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Und jetzt warten Sie auf das Verfassungsgericht oder hoffen Sie auf die Bundestagswahl?
Ich setze da immer auf beides. Wenn wir nach der Wahl andere Mehrheiten mit grüner Beteiligung haben, dann setze ich darauf, dass wir sehr schnell Reformen anstreben könnten. Aber ich sage ihnen ganz klar, es gibt auch bei der FDP Fragezeichen. Sie sind zum Beispiel bei dem Vorschlag der Grünen beim Abstammungsrecht nicht mitgegangen, weil sie sagen, wir brauchen direkt den großen Wurf. Das ist aus meiner Sicht nicht realistisch. Man muss immer in kleinen Schritten vorgehen.

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