TU soll Rassismus bei Polizei beleuchten

Innenverwaltung erteilt Auftrag für unabhängige Forschungsuntersuchung an Berliner Universität

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Chronik der Initiative »Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt« (KOP) zieht sich über 342 Seiten. Auf jeder DIN-A4-Seite ist ein gemeldeter Vorfall aufgelistet, der Zeitraum für in Berlin erfasste »rassistisch motivierte Polizeivorfälle« reicht vom Jahr 2000 bis zum Februar dieses Jahres. Zuletzt hatte KOP vor einigen Wochen auf einen möglicherweise rassistischen Vorfall vom Mai 2019 bei einer Verkehrskontrolle in Berlin aufmerksam gemacht, bei der drei Geschwister von Polizisten verprügelt worden sein sollen – die Betroffenen fanden sich anschließend als vermeintliche Täter*innen vor Gericht wieder. Allein die schiere Anzahl der Fälle, die KOP dokumentiert, zeigt, dass die Berliner Polizei ein Problem mit Rassismus zu haben scheint.

Als »nd« im vergangenen Herbst in einer repräsentativen Umfrage danach fragte, ob die Polizei ein Rassismusproblem habe, war das Ergebnis eindeutig: Eine Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner war der Meinung, dass die Berliner Polizei »Tendenzen« zu Rassismus hat. Je jünger die Befragten seinerzeit waren, desto mehr waren der Ansicht, dass es rassistische Tendenzen gibt. Wie groß die Vorbehalte gegen die Polizei sind, zeigte sich in der Hauptstadt auch im Zuge der großen polizeikritischen Demonstration der Black-Lives-Matter-Bewegung im Juni vergangenen Jahres.

Die Berliner Innenbehörden reagieren nun auf die Kritik. Am Freitag gab Innensenator Andreas Geisel (SPD) bekannt, dass er eine unabhängige Studie zu möglichem Rassismus und möglicher Diskriminierung bei der Polizei Berlin in Auftrag gegeben hat. Demnach ging der Forschungsauftrag an die Technische Universität Berlin (TU). Diese soll bis zum 31. Mai 2022 eine wissenschaftliche Expertise erstellen, offiziell losgehen soll die Untersuchung bereits am Dienstag kommender Woche. Neben der TU-Studie will sich Berlin auch an der von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) in Aussicht gestellten Untersuchung zu Motivation, Einstellung und Gewalt im Alltag von Polizeivollzugsbeamten beteiligen. Seehofer hatte sich zuvor lange gegen eine Studie zu Rassismus bei der Polizei gesperrt.

»Mit der unabhängigen Berliner Polizeistudie gehen wir einen Schritt voraus und ergänzen die Forschungsbemühungen des Bundes mit einer speziellen Berliner Perspektive«, erklärte Geisel. Die Polizei genieße deutschlandweit großes Vertrauen, so der Innensenator. »Möglichen Rassismus und Diskriminierung bei der Polizei Berlin zu untersuchen, ist möglich, weil wir eine selbstkritische und reflektierte Polizei haben, die sich ihrer Vorbildfunktion bewusst ist.« Die Berliner Studie sei Ausdruck des eigenen Anspruchs, »gängige Praktiken zu hinterfragen und diese, wenn es nötig ist, anzupassen«.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) begrüßte am Freitag, dass mit der TU eine Institution gefunden wurde, die einem hohen wissenschaftlichen Anspruch gerecht werde. »Wir haben immer betont, dass die Untersuchungsziele nicht vorverurteilend sein dürfen, was in diesem Fall gegeben ist«, sagte der Sprecher des Berliner Landesverbandes der GdP, Benjamin Jendro. Die Gewerkschaft unterbreitete den Vorschlag, den Prozess mit einem »Begleitgremium« zu flankieren. Entscheidend sei auch, wie die Ergebnisse final eingeordnet werden und was daraus folge, so Jendro.

Auch die Koalitionspartner der SPD in Berlin, die Linke und die Grünen, hießen die geplante wissenschaftliche Untersuchung gut. »Wir begrüßen es, dass unsere Forderung nach einer Berliner Polizeistudie nun endlich Wirklichkeit wird, das war überfällig«, sagte der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Benedikt Lux, zu »nd«. Die Bundesuntersuchung sei dagegen eine »Mogelpackung«. Lux: »Wir erwarten auf den Ergebnissen aufbauend außerdem Handlungsempfehlungen zur Förderung einer Kultur der Wertschätzung von Vielfalt und zur Durchsetzung des Verbots von Racial Profiling.« Eine demokratische Gesellschaft brauche eine Polizei, die sich kritisch hinterfrage.

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Der Innenexperte der Linksfraktion, Niklas Schrader, bewertete es ebenfalls als »gut«, dass Berlin eine eigene Studie an eine unabhängige, nicht polizeinahe Institution vergeben hat. Irritiert ist man bei der Linken allerdings darüber, dass der Innensenator den genauen Forschungsauftrag nicht vorab zur Kenntnis gegeben hat. Auch die Teilnahme an den Bundesuntersuchungen sieht die Linke kritisch. »Vollkommen unverständlich ist mir, warum Berlin sich daneben an der Seehofer-Studie beteiligt. Diese ist klar auf eine Relativierung des Rassismusproblems in den Behörden angelegt. Diesen Quatsch sollten wir uns sparen«, sagte Schrader zu »nd«.

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