• Berlin
  • »Black Lives Matter«

Berliner sehen Tendenz der Polizei zu Rassismus

Repräsentative Umfrage im Auftrag von »nd.DerTag« zeigt, dass in der Stadtbevölkerung ein Problem bei der Ordnungsmacht gesehen wird

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 3 Min.

Für viele Menschen mit Migrationserfahrung, People of Color und Schwarze zählt rassistische Polizeigewalt nach eigenen Angaben zum Alltag. Mit zahlreichen antirassistischen Demonstrationen machten die Betroffenen in den vergangenen Monaten, auch in Berlin, auf dieses Problem aufmerksam. So nahmen allein weit über 15 000 Menschen Anfang Juni dieses Jahres an einer Kundgebung unter dem Motto »Black Lives Matter« (Schwarze Leben zählen) auf dem Berliner Alexanderplatz teil, um des am 25. Mai 2020 in der US-amerikanischen Metropole Minneapolis von Polizisten ermordeten George Floyd zu gedenken. Bei der Manifestation, bei der es zu Auseinandersetzungen der Polizei mit Demonstrantinnen und Demonstranten kam, ging es aber auch um die Situation in der Hauptstadt und in Deutschland.

Die Innenbehörden in Berlin streiten unterdessen ab, dass es ein Problem gibt. In einer aktuellen Antwort des Senats auf eine Schriftliche Anfrage der Grünen-Fraktion heißt es beispielsweise zur Praxis des »Racial Profiling«, also der anhand ethnischer Zuschreibung durchgeführten Polizeikontrollen: »Für die Polizei Berlin ist die Hautfarbe oder die Herkunft eines Menschen kein Anlass für Kontrollen oder anderweitige polizeiliche Maßnahmen.« Einzelfälle könnten zwar nicht ausgeschlossen werden, aber sollten diese bekannt werden, erfolge eine konsequente Aufarbeitung. Gerade einmal 61 Fälle verzeichnete das Zentrale Beschwerdemanagement der Polizei Berlin mit dem Beschwerdegrund »Diskriminierung aus rassistischen/fremdenfeindlichen Gründen« von 2016 bis zum ersten Quartal 2020. Für eine internationale 3,5-Millionen-Metropole wie Berlin scheint diese geringe Zahl sehr niedrig zu sein, man muss wohl von einer hohen Dunkelziffer ausgehen.

Aber wie sehen die Berlinerinnen und Berliner selber ihre Polizei, die sich ja seit vielen Jahren darum bemüht, ein Spiegelbild der vielfältigen Stadtgesellschaft zu werden? Dazu hat »nd.DerTag« eine Befragung beim Umfrageinstitut IFM Berlin in Auftrag gegeben. Das zentrale Ergebnis: Eine Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner ist der Meinung, dass die Berliner Polizei »Tendenzen« zu Rassismus hat. An der repräsentativen Telefon- und Onlineumfrage nahmen insgesamt 1042 Berlinerinnen und Berliner zwischen dem 10. und 17. August teil. Von den Befragten sieht zwar nur eine kleine Minderheit von 6,2 Prozent, dass die Polizei in Berlin ihrer Meinung nach »sehr stark« eine solche Tendenz aufweist, »eher stark« antworteten 10,3 Prozent der Befragten. Fast die Hälfte der Befragten der Umfrage, 45,8 Prozent, antworteten: »Ja, etwas«. Dass die Polizei gar keine Tendenz zu Rassismus hat, meint dagegen nur eine Minderheit von 
37,7 Prozent.

Aufschlussreich ist die nähere Betrachtung des Umfrageergebnisses nach Altersgruppen: Demnach steigt die Einschätzung, dass die Polizei rassistische Tendenzen hat, in der jüngeren Generation, in der mehr Migrantinnen und Migranten gezählt werden, leicht an. Immerhin 24 Prozent dieser Alterskohorte meinen, dass die Polizei eine »sehr starke« oder »eher starke« Tendenz hat. In den Altersgruppen 40 bis 64 Jahre sowie in der Kohorte 
65 plus sieht das anders aus. Dort sehen nur 15 beziehungsweise 7 Prozent eine »sehr starke« oder »eher starke« Tendenz zu Rassismus bei der Berliner Polizei. Was den Bildungsgrad angeht oder das Einkommen, unterscheidet sich die Einschätzung der Befragten indes nur marginal. Auffällig ist, dass bei Berlinerinnen und Berlinern mit einem Abschluss vergleichbar der Haupt- oder sogenannten Volksschule überdurchschnittliche 46 Prozent mit »nein, gar nicht« auf die Frage antworteten. Aber auch hier ist eine Mehrheit offenbar der Meinung, dass entsprechende rassistische Tendenzen vorhanden sind.

Die Befunde der nd-Umfrage dürften Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) und Polizeipräsidentin Barbara Slowik Kopfzerbrechen bereiten. Denn wie bei einem kürzlichen Besuch in der Polizeiakademie in Berlin-Spandau deutlich wurde, steckt die Berliner Polizei seit Jahren viel Energie in die Extremismusprävention. Dennoch scheint der Ruf der Polizei beschädigt zu sein. Dabei verwehren sich nicht nur die jungen Polizeianwärter vehement gegen negative und pauschale Zuschreibungen. Eine tiefergehende Studie zu Rassismus bei der Polizei, wie sie Berlin nach der Absage des Bundes auf Landesebene durchführen will, scheint angesichts der Umfrageergebnisse bitter nötig zu sein, um aufzuklären, warum so starke Vorbehalte gegen die Polizei vorhanden sind.

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